This website presents a complete German edition of Carl von Clausewitz's classic work on the theory of war, Vom Kriege. It has been posted by ClausewitzStudies.org. For background on Clausewitz, visit our FAQs page.
Achtes Buch:
Kriegsplan
In dem Kapitel vom Wesen und Zweck des Krieges haben wir seinen Gesamtbegriff gewissermaßen skizziert und seine Verhältnisse zu den ihn umgebenden Dingen angedeutet, um mit einer richtigen Grundvorstellung anzufangen. Wir haben die mannigfaltigen Schwierigkeiten, auf welche der Verstand dabei stößt, durchblicken lassen, uns eine genauere Betrachtung derselben vorbehaltend, und sind bei dem Resultat stehen geblieben, daß die Niederwerfung des Feindes, folglich die Vernichtung seiner Streitkräfte das Hauptziel des ganzen kriegerischen Aktes sei. Dies hat uns in den Stand gesetzt, im folgenden Kapitel zu zeigen, daß das Mittel, dessen sich der kriegerische Akt bedient, allein das Gefecht sei. Auf diese Weise glauben wir vorläufig einen richtigen Standpunkt gewonnen zu haben.
Nachdem wir nun die beachtenswertesten Verhältnisse und Formen, welche in dem kriegerischen Handeln außerhalb des Gefechts vorkommen, einzeln durchgegangen sind, um ihren Wert teils nach der Natur der Sache, teils nach der Erfahrung, welche die Kriegsgeschichte darbietet, bestimmter anzugeben, sie von unbestimmten, zweideutigen Vorstellungen, die damit verbunden zu sein pflegen, zu reinigen und auch bei ihnen das eigentliche Ziel des kriegerischen Aktes, die Vernichtung des Feindes, überall gehörig als die Hauptsache herantreten zu lassen, kehren wir nun zu dem Ganzen des Krieges zurück, indem wir uns vornehmen, von dem Kriegs- und Feldzugsplan zu reden, und sind also genötigt, an die Vorstellungen unseres ersten Buches wieder anzuknüpfen.
In diesen Kapiteln, welche die Gesamtfrage abhandeln sollen, ist die eigentlichste Strategie, das Umfassendste und Wichtigste derselben enthalten. Wir betreten dieses Innerste ihres Gebietes, in welchem alle übrigen Fäden zusammenlaufen, nicht ohne Scheu.
In der Tat ist diese Scheu nicht mehr als billig.
Wenn man auf der einen Seite sieht, wie das kriegerische Handeln so höchst einfach erscheint, wenn man hört und liest, wie die größten Feldherren gerade am einfachsten und schlichtesten sich darüber ausdrücken, wie das Regieren und Bewegen der aus hunderttausend Gliedern zusammengesetzten schwerfälligen Maschine in ihrem Munde sich nicht anders ausnimmt, als ob von ihrem einzigen Individuo die Rede sei, so daß der ganze ungeheure Akt des Krieges zu einer Art Zweikampf individualisiert wird, wenn man dabei die Motive ihres Handelns bald mit ein paar einfachen Vorstellungen, bald mit irgendeiner Regung des Gemütes angegeben findet, wenn man diese leichte, sichere, man möchte sagen leichtfertige Weise sieht, wie sie den Gegenstand auffassen - und nun von der anderen Seite die Anzahl von Verhältnissen, die für den untersuchenden Verstand in Anregung kommen, die großen, oft unbestimmten Entfernungen, in welchen die einzelnen Fäden auslaufen, und die Unzahl von Kombinationen, die vor uns liegen, wenn man dabei an die Verpflichtung denkt, welche die Theorie hat, diese Dinge systematisch, d. h. mit Klarheit und Vollständigkeit aufzufassen und das Handeln immer auf die Notwendigkeit des zureichenden Grundes zurückzuführen, so überfällt uns die Angst mit unwiderstehlicher Gewalt, zu einem pedantischen Schulmeistertum hinabgerissen zu werden, in den unteren Räumen schwerfälliger Begriffe herumzukriechen und dem großen Feldherrn in seinem leichten Überblick also niemals zu begegnen. Wenn so das Resultat theoretischer Bemühungen sein sollte, so wäre es ebensogut oder vielmehr besser, sie gar nicht angestellt zu haben; sie ziehen der Theorie die Geringschätzung des Talentes zu und fallen bald in Vergessenheit. Und von der anderen Seite ist dieser leichte Überblick des Feldherrn, diese einfache Vorstellungsart, diese Personifizierung des ganzen kriegerischen Handelns so ganz und gar die Seele jeder guten Kriegführung, daß nur bei dieser großartigen Weise sich die Freiheit der Seele denken läßt, die nötig ist, wenn sie über die Ereignisse herrschen und nicht von ihnen überwältigt werden soll.
Mit einiger Scheu setzen wir unseren Schritt fort; wir können es nur, wenn wir den Weg verfolgen, welchen wir uns gleich anfangs vorgezeichnet haben. Die Theorie soll mit einem klaren Blick die Masse der Gegenstände beleuchten, damit der Verstand sich leichter in ihnen finde, sie soll das Unkraut ausreißen, welches der Irrtum überall hat hervorschießen lassen, sie soll die Verhältnisse der Dinge untereinander zeigen, das Wichtige von dem Unwichtigen sondern. Wo sich die Vorstellungen von selbst zu einem solchen Kern der Wahrheit zusammenfinden, den wir Grundsatz nennen, wo sie von selbst eine solche Linie halten, die eine Regel bildet, da soll die Theorie es angeben.
Was nun der Geist von dieser unterirdischen Wanderung zwischen den Fundamentalvorstellungen der Sache mit sich nimmt, die Lichtstrahlen, welche in ihm geweckt werden, das ist der Nutzen, welchen ihm die Theorie gewährt. Sie kann ihm keine Formeln zur Auflösung der Aufgaben mitgeben, sie kann seinen Weg nicht auf eine schmale Linie der Notwendigkeit einschränken durch Grundsätze, die sie zu beiden Seiten aufmarschieren läßt. Sie läßt ihn einen Blick in die Masse der Gegenstände und ihrer Verhältnisse tun und entläßt ihn dann wieder in die höheren Regionen des Handelns, um nach dem Maß der ihm gewordenen natürlichen Kräfte mit der vereinten Tätigkeit aller zu handeln und sich das Wahren und Rechten wie eines einzelnen klaren Gedankens bewußt zu werden, der, durch den Gesamteindruck aller jener Kräfte hervorgetrieben, mehr ein Produkt der Gefahr als des Denkens zu sein scheint.
Der Kriegsplan faßt den ganzen kriegerischen Akt zusammen, durch ihn wird er zur einzelnen Handlung, die einen letzten endlichen Zweck haben muß, in welchem sich alle besonderen Zwecke ausgeglichen haben. Man fängt keinen Krieg an, oder man sollte vernünftigerweise keinen anfangen, ohne sich zu sagen, was man mit und was man in demselben erreichen will, das erstere ist der Zweck, das andere das Ziel. Durch diesen Hauptgedanken werden alle Richtungen gegeben, der Umfang der Mittel, das Maß der Energie bestimmt, und er äußert seinen Einfluß bis in die kleinsten Glieder der Handlung hinab.
Wir haben im ersten Kapitel gesagt, daß die Niederwerfung des Gegners das natürliche Ziel des kriegerischen Aktes sei, und daß, wenn man bei der philosophischen Strenge des Begriffs stehenbleiben will, es im Grunde ein anderes nicht geben könne.
Da diese Vorstellung von beiden kriegführenden Teilen gedacht werden muß, so würde daraus folgen, daß es im kriegerischen Akt keinen Stillstand geben und nicht eher Ruhe eintreten könne, bis einer der beiden Teile wirklich niedergeworfen sei.
In dem Kapitel von dem Stillstand im kriegerischen Akt haben wir gezeigt, wie das bloße Prinzip der Feindschaft auf den Träger desselben, den Menschen, und alle Umstände angewendet, aus denen es den Krieg zusammensetzt, aus inneren Gründen der Maschine einen Aufenthalt und eine Ermäßigung erleidet.
Aber diese Modifikation ist lange nicht hinreichend, um uns von dem ursprünglichen Begriff des Krieges zu der konkreten Gestalt desselben, wie wir sie fast überall finden, überzuführen. Die meisten Kriege erscheinen nur wie eine gegenseitige Entrüstung, wobei jeder zu den Waffen greift, um sich selbst zu schützen und dem anderen Furcht einzuflößen und - gelegentlich ihm einen Streich beizubringen. Es sind also nicht zwei sich einander zerstörende Elemente, die zusammengebracht sind, sondern es sind Spannungen noch getrennter Elemente, die sich in einzelnen kleinen Schlägen entladen.
Welches ist nun aber die nicht leitende Scheidewand, die das totale Entladen verhindert? Warum geschieht der philosophischen Vorstellungsweise nicht Genüge? Jene Scheidewand liegt in der großen Zahl von Dingen, Kräften, Verhältnissen, die der Krieg im Staatsleben berührt, und durch deren unzählbare Windungen sich die logische Konsequenz nicht wie an dem einfachen Faden von ein paar Schlüssen fortführen läßt; in diesen Windungen bleibt sie stecken, und der Mensch, der gewohnt ist, im großen und kleinen mehr nach einzelnen vorherrschenden Vorstellungen und Gefühlen als nach strenger logischer Folge zu handeln, wird sich hier seiner Unklarheit, Halbheit und Inkonsequenz kaum bewußt.
Hätte aber auch die Intelligenz, von welcher der Krieg ausgeht, wirklich alle diese Verhältnisse durchlaufen können, ohne ihr Ziel einen Augenblick zu verlieren, so würden alle übrigen Intelligenzen im Staate, welche dabei in Betrachtung kommen, nicht eben das können und also ein Widerstreben entstehen und mithin eine Kraft nötig sein, die Inertie der ganzen Masse zu überwinden, und diese Kraft wird meistens unzureichend sein.
Diese Inkonsequenz findet bei dem einen der beiden Teile statt, oder bei dem anderen, oder bei beiden, und wird so die Ursache, daß der Krieg zu etwas ganz anderem wird, als er dem Begriff nach sein sollte, zu einem Halbdinge, zu einem Wesen ohne inneren Zusammenhang.
So finden wir ihn fast überall, und man könnte zweifeln, daß unsere Vorstellung von dem ihm absolut zukommenden Wesen einige Realität hätte, wenn wir nicht gerade in unseren Tagen den wirklichen Krieg in dieser absoluten Vollkommenheit hätten auftreten sehen. Nach einer kurzen Einleitung, die die französische Revolution gemacht hat, hat ihn der rücksichtslose Bonaparte schnell auf diesen Punkt gebracht. Unter ihm ist er rastlos vorgeschritten, bis der Gegner niederlag; und fast ebenso rastlos sind die Rückschläge erfolgt. Ist es nicht natürlich und notwendig, daß uns diese Erscheinung auf den ursprünglichen Begriff des Krieges mit allen strengen Folgerungen zurückführt?
Sollen wir nun dabei stehenbleiben und alle Kriege, wie sehr sie sich auch davon entfernen, danach beurteilen? Alle Forderungen der Theorie daraus ableiten?
Wir müssen uns jetzt darin entscheiden, denn wir können kein gescheites Wort vom Kriegsplan sagen, ohne bei uns selbst ausgemacht zu haben, ob der Krieg nur so sein soll oder noch anders sein kann.
Wenn wir uns zu dem ersteren entschließen, wird unsere Theorie sich überall dem Notwendigen mehr nähern, mehr eine klare , abgemachte Sache sein. Aber was sollen wir dann zu allen Kriegen sagen, welche seit Alexander und einigen Feldzügen der Römer bis auf Bonaparte geführt worden sind? Wir mußten sie in Bausch und Bogen verwerfen und konnten es doch vielleicht nicht, ohne uns unserer Anmaßung zu schämen. Was aber schlimm ist, wir mußten uns sagen, daß im nächsten Jahrzehnt vielleicht wieder ein Krieg der Art da sein wird, unserer Theorie zum Trotz, und daß diese Theorie mit einer starken Logik doch sehr ohnmächtig bleibt gegen die Gewalt der Umstände. Wir werden uns also dazu verstehen müssen, den Krieg, wie er sein soll, nicht aus seinem bloßen Begriff zu konstruieren, sondern allem Fremdartigen, was sich darin einmischt und daransetzt, seinen Platz zu lassen, aller natürlichen Schwere und Reibung der Teile, der ganzen Inkonsequenz, Unklarheit und Verzagtheit des menschlichen Geistes; wir werden die Ansicht fassen müssen, daß der Krieg und die Gestalt, welche man ihm gibt, hervorgeht aus augenblicklich vorhergehenden Ideen, Gefühlen und Verhältnissen, ja wir müssen, wenn wir ganz wahr sein wollen, einräumen, daß dies selbst der Fall gewesen ist, wo der seine absolute Gestalt angenommen hat, nämlich unter Bonaparte.
Müssen wir das, müssen wir zugeben, daß der Krieg entspringt und seine Gestalt erhält nicht aus einer endlichen Abgleichung aller unzähligen Verhältnisse, die er berührt, sondern aus einzelnen unter ihnen, die gerade vorherrschen, so folgt von selbst, daß er auf einem Spiel von Möglichkeiten, Wahrscheinlichkeiten, Glück und Unglück beruht, in dem sich die strenge logische Folgerung oft ganz verliert, und wobei sie überhaupt ein sehr unbehilfliches, unbequemes Instrument des Kopfes ist; auch folgt dann, daß der Krieg ein Ding sein kann, was bald mehr, bald weniger Krieg ist.
Dies alles muß die Theorie zugeben, aber es ist ihre Pflicht, die absolute Gestalt des Krieges obenan zu stellen und sie als einen allgemeinen Richtpunkt zu brauchen, damit derjenige, der aus der Theorie etwas lernen will, sich gewöhne, sie nie aus den Augen zu verlieren, sie als das ursprüngliche Maß aller seiner Hoffnungen und Befürchtungen zu betrachten, um sich ihr zu nähern, wo er es kann oder wo er es muß.
Daß eine Hauptvorstellung, welche unserem Denken und Handeln zum Grunde liegt, ihm auch da, wo die nächsten Entscheidungsgründe aus ganz anderen Regionen kommen, einen gewissen Ton und Charakter gibt, ist ebenso gewiß, als daß der Maler seinem Bilde durch die Farben, womit er es untermalt, diesen oder jenen Ton geben kann.
Daß die Theorie dies jetzt mit Wirksamkeit tun kann, verdankt sie den letzten Kriegen. Ohne diese warnenden Beispiele von der zerstörenden Kraft des losgelassenen Elements würde sie sich vergeblich heiser schreien; niemand würde für möglich halten, was jetzt von allen erlebt ist.
Würde Preußen im Jahr 1798 es gewagt haben, mit 70000 Mann in Frankreich einzudringen, wenn es geahnt hätte, daß der Rückschlag im Fall des Nichtgelingens so stark sein würde, das alte europäische Gleichgewicht über den Haufen zu werfen?
Würde Preußen im Jahr 1806 den Krieg gegen Frankreich mit 100000 Mann angefangen haben, wenn es erwogen hätte, daß der erste Pistolenschuß ein Funken in den Minenherd sei, der es in die Luft sprengen sollte?
Je nachdem man die absolute Gestalt des Krieges oder eine der davon mehr oder weniger entfernten wirklichen im Auge hat, entstehen zwei verschiedene Vorstellungen von dem Erfolge desselben.
Bei der absoluten Gestalt des Krieges, wo alles aus notwendigen Gründen geschieht, alles rasch ineinandergreift, kein, wenn ich so sagen darf, wesenloser neutraler Zwischenraum entsteht, gibt es wegen der vielfältigen Wechselwirkungen, die der Krieg in sich schließt *, wegen des Zusammenhanges, in welchem, strenge genommen, die ganze Reihe der aufeinanderfolgenden Gefechte steht **, wegen des Kulminationspunktes, den jeder Sieg hat, über welchen hinaus das Gebiet der Verluste und Niederlagen angeht ***, wegen aller dieser natürlichen Verhältnisse des Krieges, sage ich, gibt es nur einen Erfolg, nämlich den Enderfolg. Bis dahin ist nichts entschieden, nichts gewonnen, nichts verloren. Hier ist es, wo man sich unaufhörlich sagen muß: das Ende krönt das Werk. In dieser Vorstellung ist also der Krieg ein unteilbares Ganze, dessen Glieder (die einzelnen Erfolge) nur Wert haben in Beziehung auf dies Ganze. Die Eroberung von Moskau und von halb Rußland 1812 hatte für Bonaparte nur Wert, wenn sie ihm den beabsichtigten Frieden verschaffte. Sie war aber nur ein Stück seines Feldzugsplanes, und in diesem fehlte noch ein Teil, nämlich die Zertrümmerung des russischen Heeres; denkt man sich diese zu den übrigen Erfolgen hinzu, so war der Friede so gewiß, wie Dinge der Art werden können. Diesen zweiten Teil konnte Bonaparte nicht mehr erringen, weil er ihn früher versäumt hatte, und so wurde ihm der ganze erste Teil nicht bloß unnütz, sondern verderblich. -
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* Erstes Kapitel des ersten Buches
** Zweites Kapitel des ersten Buches
*** Viertes und fünftes Kapitel des siebenten Buches (vom Kulminationspunkt des Sieges)
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Dieser Vorstellung von dem Zusammenhange der Erfolge im Kriege, welche man als eine äußerste betrachten kann, steht eine andere äußerste gegenüber, nach welcher derselbe aus einzelnen für sich bestehenden Erfolgen zusammengesetzt ist, bei denen, wie im Spiel bei den Partien, die vorhergehenden keinen Einfluß auf die nachfolgenden haben. Hier kommt es also nur auf die Summe der Erfolge an, und man kann jeden einzelnen wie eine Spielmarke zurücklegen.
So wie die erste Vorstellungsart ihre Wahrheit aus der Natur der Sache schöpft, so finden wir die der zweiten in der Geschichte. Es gibt eine Unzahl von Fällen, wo ein kleiner mäßiger Vorteil hat gewonnen werden können, ohne daß sich daran irgendeine erschwerende Bedingung geknüpft hätte. Je mehr das Element des Krieges ermäßigt ist, um so häufiger werden diese Fälle, aber so wenig wie je in einem Kriege die erste der Vorstellungsarten vollkommen wahr ist, ebensowenig gibt es Kriege, wo die letztere überall zutrifft und die erstere entbehrlich wäre.
Halten wir uns an die erste dieser beiden Vorstellungsarten, so müssen wir die Notwendigkeit einsehen, daß ein jeder Krieg von Hause aus als ein Ganzes aufgefaßt werde, und daß beim ersten Schritt vorwärts der Feldherr schon das Ziel im Auge habe, wohin alle Linien laufen.
Lassen wir die zweite Vorstellungsart zu, so können untergeordnete Vorteile um ihrer selbst willen verfolgt und das Weitere den weiteren Ergebnissen überlassen werden.
Da keine dieser beiden Vorstellungsarten ohne Resultat ist, so kann die Theorie auch keine derselben entbehren. Der Unterschied, den sie im Gebrauch derselben macht, besteht darin, daß sie fordert, die erstere als die Grundvorstellung auch überall zum Grunde zu legen und die letztere nur als eine Modifikation zu gebrauchen, die durch die Umstände gerechtfertigt wird.
Wenn Friedrich der Große in den Jahren 1742, 1744, 1757 und 1758 von Schlesien und Sachsen aus eine neue Offensivspitze in den österreichischen Staat hineintrieb, von der er recht gut wußte, daß sie nicht zu einer neuen, dauernden Eroberung führen konnte, wie die von Schlesien und Sachsen war, so geschah es, weil er damit nicht die Niederwerfung des österreichischen Staates, sondern einen untergeordneten Zweck, nämlich Zeit- und Kraftgewinn beabsichtigte, und er durfte diesen untergeordneten Zweck verfolgen, ohne zu fürchten, daß er damit sein ganzes Dasein auf das Spiel setzte *. Wenn aber Preußen 1806 und Österreich 1805 und 1809 sich noch ein viel bescheideneres Ziel vorsetzte, nämlich die Franzosen über den Rhein zu treiben, so konnten sie das vernünftigerweise nicht, ohne im Geiste die ganze Reihe der Begebenheiten zu durchlaufen, die sich sowohl im Fall des guten als schlechten Erfolges wahrscheinlich an den ersten Schritt anknüpfen und bis zum Frieden führen würde. Dies war ganz unerläßlich, sowohl um bei sich auszumachen, wie weit sie ihren Sieg ohne Gefahr verfolgen konnten, als wie und wo sie den feindlichen Sieg zum Stehen zu bringen imstande wären.
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* Hätte Friedrich der Große die Schlacht von Kolin gewonnen und mithin die österreichische Hauptarmee mit ihren beiden obersten Feldherren in Prag gefangen genommen, so war das ein so furchtbarer Schlag, daß er allerdings daran denken konnte, auf Wien zu gehen, die österreichische Monarchie zu erschüttern und dadurch den Frieden unmittelbar zu gewinnen. Dieser für die damaligen Zeiten unerhörte Erfolg der den Erfolgen der neuesten Kriege ganz ähnlich, nur wegen des kleinen Davids und des großen Goliaths viel wunderbarer und glänzender gewesen wäre, würde nach dem Gewinn dieser einen Schlacht höchstwahrscheinlich eingetreten sein, welches aber der oben gemachten Behauptung nicht widerspricht; denn diese spricht nur von dem, was der König mit seiner Offensive ursprünglich beabsichtigte; die Einschließung und Gefangennahme der feindlichen Hauptarmee aber war ein Ereignis, was außer aller Berechnung lag, und woran der König nicht gedacht hatte, wenigstens nicht eher, als bis die Österreicher durch ihre ungeschickte Aufstellung bei Prag dazu Veranlassung gaben.
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Worin der Unterschied beider Verhältnisse sei, zeigt eine aufmerksame Betrachtung der Geschichte. Im achtzehnten Jahrhundert, zur Zeit der Schlesischen Kriege, war der Krieg noch eine bloße Angelegenheit des Kabinetts, an welchem das Volk nur als blindes Instrument teilnahm; im Anfang des neunzehnten Jahrhunderts standen die beiderseitigen Völker in der Wageschale. Die Feldherren, welche Friedrich dem Großen gegenüberstanden, waren Männer, die im Auftrag handelten, und eben deswegen Männer, in welchen die Behutsamkeit ein vorherrschender Charakterzug war; der Gegner der Österreicher und Preußen war, um es kurz zu sagen, der Kriegsgott selbst.
Mußten diese verschiedenen Verhältnisse nicht ganz verschiedene Betrachtungen veranlassen? Mußten sie nicht im Jahre 1805, 1806 und 1809 den Blick auf das äußerste der Unglücksfälle als auf eine nahe Möglichkeit, ja als auf eine große Wahrscheinlichkeit richten und mithin zu ganz anderen Anstrengungen und Plänen führen als solche, deren Gegenstand ein paar Festungen und eine mäßige Provinz sein konnten?
Sie haben es nicht in gehörigem Maße getan, wiewohl die Mächte Preußen und Österreich bei ihren Rüstungen die Gewitterschwere der politischen Atmosphäre hinreichend fühlten. Sie haben es nicht vermocht, weil sie damals noch nicht so deutlich von der Geschichte entwickelt waren. Eben jene Feldzüge von 1805, 1806 und 1809 sowie die späteren haben es uns so sehr erleichtert, den Begriff des neueren, des absoluten Krieges in seiner zerschmetternden Energie davon zu abstrahieren.
Die Theorie fordert also, daß bei jedem Kriege zuerst sein Charakter und seine großen Umrisse nach der Wahrscheinlichkeit aufgefaßt werden, die die politischen Größen und Verhältnisse ergeben. Je mehr nach dieser Wahrscheinlichkeit sein Charakter sich dem absoluten Kriege nähert, je mehr die Umrisse die Masse der kriegführenden Staaten umfassen und in den Strudel hineinziehen, um so leichter wird der Zusammenhang seiner Begebenheiten, um so notwendiger, nicht den ersten Schritt zu tun, ohne an den letzten zu denken.
Der Zwang, welchen wir unserem Gegner antun müssen, wird sie nach der Größe unserer und seiner politischen Forderungen richten. Insofern diese gegenseitig bekannt sind, würde es dasselbe Maß der Anstrengung geben; allein sie liegen nicht immer so offen da, und dies kann ein erster Grund zur Verschiedenheit in den Mitteln sein, die beide aufbieten.
Die Lage und Verhältnisse der Staaten sind einander nicht gleich, dies kann ein zweiter Grund werden.
Die Willensstärke, der Charakter, die Fähigkeiten der Regierungen sind sich ebensowenig gleich, dies ist ein dritter Grund.
Diese drei Rücksichten bringen eine Ungewißheit in die Berechnung des Widerstandes, welchen man finden wird, folglich der Mittel, die man anwenden soll, und des Zieles, welches man sich setzen darf.
Da im Kriege aus unzureichenden Anstrengungen nicht bloß ein Nichterfolg, sondern positiver Schaden entstehen kann, so treibt das beide Teile, sich einander zu überbieten, wodurch eine Wechselwirkung entsteht.
Dies könnte an das äußerste Ziel der Anstrengungen führen, wenn sich ein solches bestimmen ließe. Dann würde aber die Rücksicht auf die Größe der politischen Forderungen verlorengehen, das Mittel alles Verhältnis zum Zweck verlieren und in den meisten Fällen diese Absicht einer äußersten Anstrengung an dem Gegengewicht der eigenen inneren Verhältnisse scheitern.
Auf diese Weise wird der Kriegsunternehmer wieder in einen Mittelweg zurückgeführt, in welchem er gewissermaßen nach dem direkten Grundsatz handelt, um diejenigen Kräfte aufzuwenden und sich im Kriege dasjenige Ziel zu stellen, welches zur Erreichung seines politischen Zweckes eben hinreicht. Um diesen Grundsatz möglich zu machen, muß er jeder absoluten Notwendigkeit des Erfolges entsagen, die entfernten Möglichkeiten aus der Rechnung weglassen.
Hier verläßt also die Tätigkeit des Verstandes das Gebiet der strengen Wissenschaft, der Logik und Mathematik, und wird, im weiten Verstande des Wortes, zur Kunst, d. h. zu der Fertigkeit, aus einer unübersehbaren Menge von Gegenständen und Verhältnissen die wichtigsten und entscheidenden durch den Takt des Urteils herauszufinden. Dieser Takt des Urteils besteht unstreitig mehr oder weniger in einer dunkeln Vergleichung aller Größen und Verhältnisse, wodurch die entfernten und unwichtigen schneller beseitigt und die nächsten und wichtigsten schneller herausgefunden werden, als wenn dies auf dem Wege strenger Schlußfolge geschehen sollte.
Um also das Maß der Mittel kennenzulernen, welches wir für den Krieg aufzubieten haben, müssen wir den politischen Zweck desselben unsererseits und von seiten des Feindes bedenken; wir müssen die Kräfte und Verhältnisse des feindlichen Staates und des unserigen, wir müssen den Charakter seiner Regierung, seines Volkes, die Fähigkeiten beider, und alles das wieder von unserer Seite, wir müssen die politischen Verbindungen anderer Staaten und die Wirkungen, welche der Krieg darin hervorbringen kann, in Betrachtung ziehen. Daß das Abwägen dieser mannigfachen und mannigfach durcheinandergreifenden Gegenstände eine große Aufgabe, daß es ein wahrer Lichtblick des Genies ist, hierin schnell das Rechte herauszufinden, während es ganz unmöglich sein würde, durch eine bloße schulgerechte Überlegung der Mannigfaltigkeit Herr zu werden, ist leicht zu begreifen.
In diesem Sinne hat Bonaparte ganz richtig gesagt: es würde eine algebraische Aufgabe werden, vor der selbst ein Newton zurückschrecken könnte.
Erschweren die Mannigfaltigkeit und Größe der Verhältnisse und die Unsicherheit des rechten Maßes das günstige Resultat in hohem Grade, so müssen wir nicht übersehen, daß die ungeheure vergleichungslose Wichtigkeit der Sache, wenn auch nicht die Verwicklung und Schwierigkeit der Aufgabe, doch das Verdienst der Lösung steigert. Die Freiheit und Tätigkeit des Geistes wird im gewöhnlichen Menschen durch die Gefahr und Verantwortlichkeit nicht erhöht, sondern heruntergedrückt; wo aber diese Dinge das Urteil beflügeln und kräftigen, da dürfen wir nicht an seltener Seelengröße zweifeln.
Wir müssen also zuvörderst einräumen, daß das Urteil über einen bevorstehenden Krieg, über das Ziel, welches er haben darf, über die Mittel, welche nötig sind, nur aus dem Gesamtüberblick aller Verhältnisse entstehen kann, in welchem also die individuellsten Züge des Augenblickes mitverflochten sind, und daß dieses Urteil, wie jedes im kriegerischen Leben, niemals rein objektiv sein kann, sondern nach den Geistes- und Gemütseigenschaften der Fürsten, Staatsmänner, Feldherren bestimmt wird, sei es, daß sie in einer Person vereinigt sind oder nicht.
Allgemein und einer abstrakten Behandlung fähiger wird der Gegenstand schon dann, wenn wir auf die allgemeinen Verhältnisse der Staaten sehen, die sie von ihrer Zeit und den Umständen erhalten haben. Wir müssen uns hier einen flüchtigen Blick auf die Geschichte erlauben.
Halbgebildete Tataren, Republiken der alten Welt, Lehnsherren und Handelsstädte des Mittelalters, Könige des achtzehnten Jahrhunderts, endlich Fürsten und Völker des neunzehnten Jahrhunderts: alle führen den Krieg auf ihre Weise, führen ihn anders, mit anderen Mitteln und nach einem anderen Ziel.
Die Tatarenschwärme suchen neue Wohnsitze. Sie ziehen mit dem ganzen Volke aus, mit Weib und Kind, sie sind also zahlreich wie verhältnismäßig kein anderes Heer, und ihr Ziel ist Unterwerfung oder Vertreibung des Gegners. Sie würden mit diesen Mitteln bald alles vor sich niederwerfen, ließe sich damit ein hoher Kulturzustand vereinigen.
Die alten Republiken, mit Ausnahme Roms, sind von geringem Umfange; noch geringer ist der Umfang ihres Heeres, denn sie schließen die große Masse, den Pöbel, aus; sie sind zu zahlreich und zu nahe beieinander, um nicht in dem natürlichen Gleichgewicht, in welches sich nach einem ganz allgemeinen Naturgesetz kleine abgesonderte Teile immer setzen, Hindernis zu großen Unternehmungen zu finden; daher beschränken sich ihre Kriege auf Verheerungen des flachen Landes und Einnahme einzelner Städte, um in diesen sich für die Folge einen mäßigen Einfluß zu sichern.
Nur Rom macht davon eine Ausnahme, doch erst in seinen späteren Zeiten. Lange kämpfte es mit kleinen Scharen um Beute und um Bündnis mit seinen Nachbarn den gewöhnlichen Kampf. Er wird groß, mehr durch die Bündnisse, die es schließt, und in welchen sich die benachbarten Völker nach und nach mit ihm zu einem Ganzen verschmelzen, als durch wahre Unterwerfungen. Nur erst, nachdem es sich auf diese Weise in ganz Unteritalien ausgebreitet hat, fängt es an, wirklich erobernd vorzuschreiten. Karthago fällt, Spanien und Gallien werden erobert, Griechenland unterworfen und in Asien und Ägypten seine Herrschaft ausgebreitet. In dieser Zeit sind seine Streitkräfte ungeheuer, ohne daß seine Anstrengungen es wären: sie werden mit seinen Reichtümern bestritten; es gleicht nicht mehr den alten Republiken und nicht mehr sich selbst. Es steht einzig da.
Ebenso einzig in ihrer Art sind die Kriege Alexanders. Mit einem kleinen, aber durch seine innere Vollkommenheit ausgezeichneten Heere wirft er die morschen Gebäude der asiatischen Staaten nieder. Ohne Rast und rücksichtslos durchzieht er das weite Asien und dringt bis Indien vor. Republiken konnten das nicht; das konnte so schnell nur ein König vollbringen, der gewissermaßen sein eigener Kondottiere war.
Die großen und die kleinen Monarchien des Mittelalters führten ihre Kriege mit Lehnsheeren. Da war alles auf eine kurze Zeit beschränkt; was in der nicht ausgerichtet werden konnte, mußte als unausführbar angesehen werden. Das Lehnsheer selbst bestand aus einer Einschachtelung von Vasallentum; das Band, welches dasselbe zusammenhielt, war halb gesetzliche Pflicht, halb freiwilliges Bündnis, das Ganze eine wahre Konföderation. Bewaffnung und Taktik waren auf das Faustrecht, auf den Kampf des einzelnen gegründet, also für eine größere Masse wenig geschickt. Überhaupt hat es nie eine Zeit gegeben, wo der Staatsverband so locker und der einzelne Staatsbürger so selbständig war. Dies alles bedingte die Kriege dieser Zeit auf die bestimmteste Art. Sie wurden verhältnismäßig rasch geführt, müßiges im Felde Liegen kam wenig vor, aber der Zweck bestand meistens nur in Züchtigung, nicht in Niederwerfung des Feindes; man trieb seine Herden weg, verbrannte seine Burgen und zog wieder nach Haus.
Die großen Handelsstädte und kleinen Republiken brachten die Kondottieri auf. Das war eine kostbare, mithin dem äußeren Umfange nach sehr beschränkte Kriegsmacht. Noch geringer war sie ihrer intensiven Kraft nach zu schätzen; von höchster Energie und Anstrengung konnte da so wenig die Rede sein, daß es meist nur eine Spiegelfechterei wurde. Mit einem Wort: Haß und Feindschaft regten den Staat nicht mehr zu persönlicher Tätigkeit an, sondern wurden ein Gegenstand seines Handels; der Krieg verlor einen großen Teil seiner Gefahr, veränderte durchaus seine Natur, und nichts, was man aus dieser Natur für ihn bestimmen kann, paßte auf denselben.
Das Lehnssystem zog sich nach und nach zu einer bestimmten Territorialherrschaft zusammen, der Staatsverband wurde enger, die persönlichen Verpflichtungen verwandelten sich in sächliche, das Geld trat nach und nach an die Stelle der meisten, und aus den Lehnsheeren wurden Söldner. Die Kondottieri machten den Übergang dazu und waren daher eine Zeitlang auch das Instrument der größeren Staaten; es dauerte aber nicht lange, so wurde aus dem auf kurze Zeit gemieteten Soldaten ein stehender Söldner, und die Kriegsmacht der Staaten war nun auf das auf den Staatsschatz gegründete stehende Heer gekommen.
Daß das langsame Fortschreiten zu diesem Ziel ein mannigfaches Ineinandergreifen aller drei Arten von Kriegsmacht verursachte, ist natürlich. Unter Heinrich IV. finden wir Lehnsleute, Kondottieri und stehendes Heer beisammen. Die Kondottieri haben sich bis in den 30jährigen Krieg, ja mit einzelnen schwächeren Spuren bis ins achtzehnte Jahrhundert hineingezogen.
Ebenso eigentümlich wie die Kriegsmacht dieser verschiedenen Zeiten war, waren es auch die übrigen Verhältnisse der Staaten in Europa. Im Grunde war dieser Weltteil in eine Masse von kleinen Staaten zerfallen, die teils in sich unruhige Republiken, teils kleine, in ihrer Regierungsgewalt höchst beschränkte und unsichere Monarchien waren. Ein solcher Staat war gar nicht als eine wahre Einheit zu betrachten, sondern als ein Agglomerat von locker verbundenen Kräften. Einen solchen Staat darf man sich also auch nicht wie eine Intelligenz denken, die nach einfachen logischen Gesetzen handelt.
Von diesem Gesichtspunkt aus muß man die äußere Politik und die Kriege des Mittelalters betrachten. Man denke nur an die beständigen Züge der deutschen Kaiser nach Italien während eines halben Jahrtausends, ohne daß je eine gründliche Eroberung dieses Landes daraus folgte oder auch nur die Absicht war. Es ist leicht, dies als einen sich immer erneuernden Fehler, als eine in der Zeit gegründete falsche Ansicht zu betrachten, aber es ist vernünftiger, es als eine Folge von hundert großen Ursachen anzusehen, in die wir uns allenfalls hineindenken können, die wir aber darum doch nicht mit der Lebendigkeit ergreifen wie der mit ihnen im Konflikt begriffene Handelnde. Solange die großen Staaten, welche aus diesem Chaos hervorgegangen sind, Zeit gebraucht haben, sich zusammenzufügen und auszubilden, geht ihre Kraft und Anstrengung hauptsächlich nur darauf hinaus; es gibt der Kriege gegen einen äußeren Feind weniger, und die es gibt, tragen das Gepräge des unreifen Staatsverbandes.
Die Kriege der Engländer gegen Frankreich treten am frühesten hervor, und doch ist Frankreich damals noch nicht als eine wahre Monarchie zu betrachten, sondern als ein Agglomerat von Herzogtümern und Grafschaften; England, obgleich es dabei mehr als Einheit erscheint, ficht doch mit Lehnsheeren und unter vielen inneren Unruhen.
Unter Ludwig XI. tut Frankreich den stärksten Schritt zu seiner inneren Einheit, unter Karl VIII. erscheint es als erobernde Macht in Italien und unter Ludwig XIV. hat es seinen Staat und sein stehendes Heer auf den höchsten Grad ausgebildet.
Spanien fängt seine Einheit unter Ferdinand dem Katholischen an, durch zufällige Heiratsverbindungen entsteht plötzlich unter Karl V. die große spanische Monarchie, aus Spanien, Burgund, Deutschland und Italien zusammengesetzt. Was diesem Koloß an Einheit und innerem Staatsverbande fehlt, ersetzt er durch Geld, und die stehende Kriegsmacht desselben gerät zuerst mit der stehenden Kriegsmacht Frankreichs in Berührung. Der große spanische Koloß zerfällt nach Karls V. Abdankung in zwei Teile, Spanien und Österreich. Dies letztere tritt nun, durch Böhmen und Ungarn verstärkt, als große Macht und schleppt die deutsche Konföderation wie eine Schaluppe hinter sich her.
Das Ende des siebzehnten Jahrhunderts, die Zeit Ludwigs XIV., läßt sich als den Punkt in der Geschichte betrachten, wo die stehende Kriegsmacht, wie wir sie im achtzehnten Jahrhundert finden, ihre Höhe erreicht hatte. Diese Kriegsmacht war auf Werbung und Geld begründet. Die Staaten hatten sich zur vollkommenen Einheit ausgebildet und die Regierungen, indem sie die Leistungen ihrer Untertanen in Geldabgaben verwandelten, ihre ganze Macht in ihren Geldkasten konzentriert. Durch die schnell vorgeschrittene Kultur und eine sich immer mehr ausbildende Verwaltung war diese Macht im Vergleich mit der früheren sehr groß geworden. Frankreich rückte mit ein paarmal hunderttausend Mann stehender Truppen ins Feld, und nach Verhältnis die übrigen Mächte.
Auch die übrigen Verhältnisse der Staaten hatten sich anders gestaltet. Europa war unter ein Dutzend Königreiche und ein paar Republiken verteilt; es war denkbar, daß zwei davon einen großen Kampf miteinander kämpften, ohne daß zehnmal soviel andere davon berührt wurden, wie es ehedem geschehen mußte. Die möglichen Kombinationen der politischen Verhältnisse waren immer noch sehr mannigfaltig, aber sie waren doch zu übersehen und von Zeit zu Zeit nach Wahrscheinlichkeiten festzustellen.
Die inneren Verhältnisse hatten sich fast überall zu einer schlichten Monarchie vereinfacht, die ständischen Rechte und Einwirkungen hatten nach und nach aufgehört, und das Kabinett war eine vollkommene Einheit, welche den Staat nach außen hin vertrat. Es war also dahin gekommen, daß ein tüchtiges Instrument und ein unabhängiger Wille dem Kriege eine seinem Begriff entsprechende Gestalt geben konnte.
Auch traten in dieser Epoche drei neue Alexander auf: Gustav Adolf, Karl XII. und Friedrich der Große, die es versuchten, aus kleinen Staaten vermittelst eines mäßigen und sehr vervollkommneten Heeres große Monarchien zu stiften und alles vor sich niederwerfen. Hätten sie es nur mit asiatischen Reichen zu tun gehabt, so würden sie in ihrer Rolle dem Alexander ähnlicher geworden sein. In jedem Fall kann man sie in Rücksicht auf das, was man im Kriege wagen dürfte, als die Vorläufer Bonapartes ansehen.
Allein was der Krieg von der einen Seite an Kraft und Konsequenz gewann, ging ihm auf der anderen Seite wieder verloren.
Die Heere wurden aus dem Schatz unterhalten, den der Fürst halb und halb wie seine Privatkasse ansah oder wenigstens wie einen der Regierung und nicht dem Volke angehörigen Gegenstand. Die Verhältnisse mit den anderen Staaten berührten, ein paar Handelsgegenstände ausgenommen, meistens nur das Interesse des Schatzes oder der Regierung und nicht des Volkes; wenigstens waren überall die Begriffe so gestellt. Das Kabinett sah sich also an wie den Besitzer und Verwalter großer Güter, die es stets zu vermehren trachtete, ohne daß die Gutsuntertanen bei dieser Vermehrung ein sonderliches Interesse haben konnten. Das Volk also, welches bei den Tatarenzügen alles im Kriege ist, bei den alten Republiken und im Mittelalter, wenn man den Begriff desselben gehörig auf die eigentlichen Staatsbürger beschränkt, sehr vieles gewesen war, ward bei diesem Zustand des achtzehnten Jahrhunderts unmittelbar nichts, sondern hatte bloß durch seine allgemeinen Tugenden oder Fehler noch einen mittelbaren Einfluß auf den Krieg.
Auf diese Weise wurde der Krieg in eben dem Maße, wie sich die Regierung vom Volke trennte und sich als den Staat ansah, ein bloßes Geschäft der Regierungen, welches sie vermittelst der Taler in ihrem Koffer und der müßigen Herumtreiber in ihren und den benachbarten Provinzen zustande brachten. Die Folge war, daß die Mittel, welche sie aufbieten konnten, ein ziemlich bestimmtes Maß hatten, welches die eine von der anderen gegenseitig übersehen konnte, und zwar ein Maß sowohl ihrem Umfang als ihrer Dauer nach; dies raubte dem Kriege die gefährlichste seiner Seiten: nämlich das Bestreben zu dem Äußersten und in dunkle Reihe von Möglichkeiten, die sich daran knüpft.
Man kannte ungefähr die Geldmittel, den Schatz, den Kredit seines Gegners; man kannte die Größe seines Heeres. Bedeutende Vermehrungen im Augenblick des Krieges waren nicht tunlich. Indem man so die Grenzen der feindlichen Kräfte übersah, wußte man sich vor einem gänzlichen Untergange ziemlich sicher, und indem man die Beschränkung der eigenen fühlte, sah man sich auf ein mäßiges Ziel zurückgewiesen. Vor dem Äußersten geschützt, brauchte man nicht mehr das Äußerste zu wagen. Die Notwendigkeit trieb nicht mehr dazu, es konnte also nur der Mut und Ehrgeiz dazu treiben. Aber diese fanden in den Staatsverhältnissen ein mächtiges Gegengewicht. Selbst die königlichen Feldherren mußten behutsam mit dem Kriegsinstrumente umgehen. Wenn das Heer zertrümmert wurde, so war kein neues zu beschaffen, und außer dem Heere gab es nichts. Dies heischte große Vorsicht bei allen Unternehmungen. Nur wenn sich ein entschiedener Vorteil zu ergeben schien, machte man Gebrauch von der kostbaren Sache: diesen herbeizuführen, war eine Kunst des Feldherrn; solange aber, wie er nicht herbeigeführt war, schwebte man gewissermaßen im absoluten Nichts, es gab keinen Grund zum Handeln, und alle Kräfte, nämlich alle Motive, schienen zu ruhen. Das ursprüngliche Motiv des Aggressors erstarb in Vorsicht und Bedenklichkeit.
So wurde der Krieg seinem Wesen nach ein wirkliches Spiel, wobei Zeit und Zufall die Karten mischten; seiner Bedeutung nach war er aber nur eine etwas verstärkte Diplomatie, eine kräftigere Art zu unterhandeln, in der Schlachten und Belagerungen die Hauptnoten waren. Sich in einen mäßigen Vorteil zu setzen, um beim Friedensschluß davon Gebrauch zu machen, war das Ziel auch des Ehrgeizigsten.
Diese beschränkte, zusammengeschrumpfte Gestalt des Krieges rührte, wie wir gesagt haben, von der schmalen Unterlage her, worauf er sich stützte. Daß aber ausgezeichnete Feldherren und Könige wie Gustav Adolf, Karl XII. und Friedrich der Große mit ebenso ausgezeichneten Heeren nicht stärker aus der Masse der Totalerscheinungen hervortreten konnten, daß auch sie sich gefallen lassen mußten, in dem allgemeinen Niveau des mittelmäßigen Erfolges zu bleiben, lag in dem politischen Gleichgewicht Europas. Was früher bei der Menge kleiner Staaten das unmittelbare, ganz natürliche Interesse, die Nähe, die Berührung, die verwandtschaftliche Verbindung, die persönliche Bekanntschaft getan hatte, um den einzelnen zu verhindern, schnell groß zu werden, das tat jetzt, wo die Staaten größer und ihre Zentren weiter voneinander entfernt waren, die größere Ausbildung der Geschäfte. Die politischen Interessen, Anziehungen und Abstoßungen hatten sich zu einem sehr verfeinerten System ausgebildet, so daß kein Kanonenschuß in Europa geschehen konnte, ohne daß alle Kabinette ihren Teil daran hatten.
Ein neuer Alexander mußte sich also neben seinem guten Schwerte auch eine gute Feder halten, und doch brachte er es mit seinen Eroberungen seiten weit.
Aber auch Ludwig XIV., obgleich er die Absicht hatte, das europäische Gleichgewicht umzustoßen, und sich am Ende des siebzehnten Jahrhunderts schon auf dem Punkte befand, sich wenig um die allgemeine Feindschaft zu bekümmern, führte den Krieg auf die hergebrachte Weise, denn seine Kriegsmacht war zwar die des größten und reichsten Monarchen, aber ihrer Natur nach wie die der anderen.
Plünderungen und Verheerungen des feindlichen Gebietes, welche bei den Tataren, bei den alten Völkern und selbst im Mittelalter eine so große Rolle spielen, waren nicht mehr im Geist der Zeit. Man sah es mit Recht wie eine unnütze Roheit an, die leicht vergolten werden konnte und den feindlichen Untertanen mehr traf als die feindliche Regierung, daher wirkungslos blieb und nur dazu diente, die Völker in ihrem Kulturzustande ewig zurückzuhalten. Der Krieg wurde also nicht bloß seinen Mitteln, sondern auch seinem Ziele nach immer mehr auf das Heer selbst beschränkt. Das Heer mit seinen Festungen und einigen eingerichteten Stellungen machte einen Staat im Staate aus, innerhalb dessen sich das kriegerische Element langsam verzehrte. Ganz Europa freute sich dieser Richtung und hielt sie für eine notwendige Folge des fortschreitenden Geistes. Obgleich hierin ein Irrtum lag, weil das Fortschreiten des Geistes niemals zu einem Widerspruch führen, niemals machen kann, daß aus zweimal zwei fünf wird, wie wir schon gesagt haben und noch in der Folge sagen müssen, so hatte allerdings diese Veränderung eine wohltätige Wirkung für die Völker; nur ist nicht zu verkennen, daß sie den Krieg auch noch mehr zu einem bloßen Geschäft der Regierung machte und dem Interesse des Volkes noch mehr entfremdete. Der Kriegsplan eines Staates bestand in dieser Zeit, wenn er der Angreifende war, meistens darin, sich einer oder der anderen feindlichen Provinz zu bemächtigen; wenn er der Verteidigende war, dies zu verhindern; der einzelne Feldzugsplan: die eine oder die andere feindliche Festung zu erobern oder die Eroberung einer eigenen zu verhindern; nur wenn dazu eine Schlacht unvermeidlich war, wurde sie gesucht und geliefert. Wer ohne diese Unvermeidlichkeit eine Schlacht aus bloßem inneren Siegesdrange suchte, galt für einen kecken Feldherrn. Gewöhnlich verstrich der Feldzug über einer Belagerung oder, wenn es hoch kam, über zwei, und die Winterquartiere, die wie eine neutrale Notwendigkeit betrachtet wurden, in welchen die schlechte Verfassung des einen niemals ein Vorteil des anderen werden konnte, in welchen die gegenseitigen Beziehungen beider fast gänzlich aufhörten, ich sage die Winterquartiere bildeten eine bestimmte Abgrenzung der Tätigkeit, welche in einem Feldzuge statthaben sollte.
Waren die Kräfte zu sehr im Gleichgewicht, oder war der Unternehmende von beiden entschieden der Schwächere, so kam es auch nicht zur Schlacht und Belagerung, und dann drehte sich die ganze Tätigkeit eines Feldzuges um Erhaltung gewisser Stellungen und Magazine und die regelmäßige Auszehrung gewisser Gegenden.
Solange der Krieg allgemein so geführt wurde und die natürlichen Beschränkungen seiner Gewalt immer so nahe und sichtbar waren, fand niemand darin etwas Widersprechendes, sondern alles in der schönsten Ordnung, und die Kritik, welche im achtzehnten Jahrhundert anfing, das Feld der Kriegskunst zu besuchen, richtete sich auf das einzelne, ohne sich viel um Anfang und Ende zu bekümmern. So gab es denn Größe und Vollkommenheit aller Art, und selbst Feldmarschall Daun, der hauptsächlich dazu beitrug, daß Friedrich der Große seinen Zweck vollkommen erreichte und Maria Theresia den ihrigen vollkommen verfehlte, mußte als ein großer Feldherr angesehen werden können. Nur hin und wieder brach ein durchgreifendes Urteil hervor, nämlich der gesunde Menschenverstand, welcher meinte, daß man mit seiner Übermacht etwas Positives erreichen müsse oder den Krieg mit aller Kunst schlecht führe.
So waren die Sachen, als die französische Revolution ausbrach. Österreich und Preußen versuchten es mit ihrer diplomatischen Kriegskunst; sie zeigte sich bald unzureichend. Während man nach der gewöhnlichen Art, die Sachen anzusehen, auf eine sehr geschwächte Kriegsmacht sich Hoffnung machte, zeigte sich im Jahr 1793 eine solche, von der man keine Vorstellung gehabt hatte. Der Krieg war urplötzlich wieder eine Sache des Volkes geworden, und zwar eines Volkes von 30 Millionen, die sich alle als Staatsbürger betrachteten. Ohne uns hier auf die näheren Umstände einzulassen, von welchen diese große Erscheinung begleitet war, wollen wir nur die Resultate festhalten, auf die es hier ankommt. Mit dieser Teilnahme des Volkes an dem Kriege trat statt eines Kabinetts und eines Heeres das ganze Volk mit seinem natürlichen Gewicht in die Waagschale. Nun hatten die Mittel, welche angewandt, die Anstrengungen, welche aufgeboten werden konnten, keine bestimmte Grenze mehr; die Energie, mit welcher der Krieg selbst geführt werden konnte, hatte kein Gegengewicht mehr und folglich war die Gefahr für den Gegner die äußerste.
Wenn der ganze Revolutionskrieg darüber hingegangen ist, ehe sich das in seiner Stärke fühlbar machte und zur völligen Klarheit wurde, wenn nicht schon die Revolutionsgenerale unaufhaltsam bis ans letzte Ziel vorgeschritten sind und die europäischen Monarchien zertrümmert haben, wenn die deutschen Heere noch hin und wieder Gelegenheit gehabt haben, mit Glück zu widerstehen und den Siegesstrom aufzuhalten, so lag dies wirklich nur in der technischen Unvollkommenheit, womit die Franzosen zu kämpfen hatten, und die sich anfangs bei den gemeinen Soldaten, dann bei den Generalen, dann zur Zeit des Direktoriums beim Gouvernement selbst zeigte.
Wie in Bonapartes Hand sich das alles vervollkommnet hatte, schritt diese auf die ganze Volkskraft gestützte Kriegsmacht zertrümmernd durch Europa mit einer solchen Sicherheit und Zuverlässigkeit, daß, wo ihr nur die alte Heeresmacht entgegengestellt wurde, auch nicht einmal ein zweifelhafter Augenblick entstand. Die Reaktion ist noch zu rechter Zeit erwacht. In Spanien ist der Krieg von selbst zur Volkssache geworden. In Österreich hat die Regierung im Jahre 1809 zuerst ungewöhnliche Anstrengungen mit Reserven und Landwehren gemacht, die sich dem Ziele näherten und alles überstiegen, was dieser Staat früher als tunlich geglaubt hatte. In Rußland hat man 1812 das Beispiel von Spanien und Österreich zum Muster genommen; die ungeheuren Dimensionen dieses Reiches erlaubten den verspäteten Anstalten, noch in Wirksamkeit zu treten und vergrößerten diese Wirksamkeit von der anderen Seite. Der Erfolg war glänzend. In Deutschland raffte sich Preußen zuerst auf, machte den Krieg zur Volkssache und trat mit Kräften auf, die, bei halb soviel Einwohnern, gar keinem Gelde und Kredit doppelt so groß waren als die von 1806. Das übrige Deutschland folgte früher oder später dem Beispiele Preußens, und Österreich, obgleich weniger sich anstrengend als im Jahr 1809, trat doch auch mit ungewöhnlicher Kraft auf. So geschah es, daß Deutschland und Rußland in den Jahren 1813 und 1814, alles mitgerechnet, was in Tätigkeit war, und was in diesen beiden Feldzügen verbraucht wurde, mit etwa einer Million Menschen gegen Frankreich auftraten.
Unter diesen Umständen war auch die Energie der Kriegführung eine andere, und wenn sie die französische nur teilweise erreichte und auf anderen Punkten die Zaghaftigkeit vorwaltete, so war doch der Gang der Feldzüge im allgemeinen nicht im alten, sondern im neuen Stil. In acht Monaten wurde das Kriegstheater von der Oder an die Seine versetzt, das stolze Paris mußte zum erstenmal sein Haupt beugen und der furchtbare Bonaparte lag gefesselt am Boden.
Seit Bonaparte also hat der Krieg, indem er zuerst auf der einen Seite, dann auch auf der anderen wieder Sache des ganzen Volkes wurde, eine ganze andere Natur angenommen, oder vielmehr, er hat sich seiner wahren Natur, seiner absolutes Vollkommenheit sehr genähert. Die Mittel, welche aufgeboten worden sind, hatten keine sichtbare Grenze, sondern diese verlor sich in der Energie und dem Enthusiasmus der Regierungen und ihrer Untertanen. Die Energie der Kriegführung war durch den Umfang der Mittel und das weite Feld möglichen Erfolges sowie durch die starke Anregung der Gemüter ungemein erhöht worden, das Ziel des kriegerischen Aktes war Niederwerfung des Gegners; nur dann erst, wenn er ohnmächtig zu Boden liege, glaubte man innehalten und sich über die gegenseitigen Zwecke verständigen zu können.
So war also das kriegerische Element, von allen konventionellen Schranken befreit, mit seiner ganzen natürlichen Kraft losgebrochen. Die Ursache war die Teilnahme, welche den Völkern an dieser großen Staatsangelegenheit wurde; und diese Teilnahme entsprang teils aus den Verhältnissen, welche die französische Revolution in dem Innern der Länder herbeigeführt hatte, teils aus der Gefahr, womit alle Völker von dem französischen bedroht waren.
Ob es nun immer so bleiben wird, ob alle künftigen Kriege in Europa immer mit dem ganzen Gewicht der Staaten und folglich nur um große, den Völkern naheliegende Interessen geführt sein werden, oder ob nach und nach wieder eine Absonderung der Regierung von dem Volke eintreten wird, dürfte schwer zu entscheiden sein, und am wenigsten wollen wir uns eine solche Entscheidung anmaßen. Aber man wird uns recht geben, wenn wir sagen, daß Schranken, die gewissermaßen nur in der Bewußtlosigkeit dessen, was möglich sei, lagen, wenn sie einmal eingerissen sind, sich nicht leicht wieder aufbauen lassen, und daß, wenigstens jedesmal, sooft ein großes Interesse zur Sprache kommt, die gegenseitige Feindschaft sich auf die Art erledigen wird, wie es in unseren Tagen geschehen ist.
Wir schließen hier unseren geschichtlichen Überblick, den wir nicht angestellt haben, um für jede Zeit in der Geschwindigkeit ein paar Grundsätze der Kriegführung anzugeben, sondern nur um zu zeigen, wie jede Zeit ihre eigenen Kriege, ihre eigenen beschränkenden Bedingungen, ihre eigene Befangenheit hatte. Jede würde also auch ihre eigene Kriegstheorie behalten, selbst wenn man überall, früh und spät, aufgelegt gewesen wäre, sie nach philosophischen Grundsätzen zu bearbeiten. Die Begebenheiten jeder Zeit müssen also mit Rücksicht auf ihre Eigentümlichkeiten beurteilt werden, und nur der, welcher nicht sowohl durch ein ängstliches Studium aller kleinen Verhältnisse als durch einen treffenden Blick auf die großen sich in jede Zeit versetzt, ist imstande, die Feldherren derselben zu verstehen und zu würdigen.
Aber diese nach den eigentümlichen Verhältnissen der Staaten und der Kriegsmacht bedingte Kriegführung muß doch etwas noch Allgemeineres oder vielmehr etwas ganz Allgemeines in sich tragen, mit welchem vor allem die Theorie es zu tun haben wird.
Die letzte Zeit, wo der Krieg seine absolute Gewalt erreicht hatte, hat den allgemein Gültigen und Notwendigen am meisten. Aber es ist ebenso unwahrscheinlich, daß die Kriege fortan alle diesen großartigen Charakter haben werden, als daß sich je die weiten Schranken, welche ihnen geöffnet worden sind, ganz wieder schließen können. Man würde also mit einer Theorie, die nur in diesem absoluten Kriege verweilte, alle Fälle, wo fremdartige Einflüsse seine Natur verändern, entweder ausschließen oder als Fehler verdammen. Dies kann nicht der Zweck der Theorie sein, die die Lehre eines Krieges nicht unter idealen, sondern unter wirklichen Verhältnissen sein soll. Die Theorie wird also, indem sie ihren prüfenden, scheidenden und ordnenden Blick auf die Gegenstände wirft, immer die Verschiedenartigkeit der Verhältnisse im Auge haben, von welchen der Krieg ausgehen kann, und sie wird also die großen Lineamente desselben so angeben, daß das Bedürfnis der Zeit und des Augenblickes darin seines Platz finde.
Hiernach müssen wir sagen, daß das Ziel, welches sich der Kriegsunternehmer setzt, die Mittel, welche er aufbietet, sich nach den ganz individuellen Zügen seiner Lage richten, daß sie aber eben den Charakter der Zeit und der allgemeinen Verhältnisse an sich tragen werden, endlich, daß sie den allgemeinen Folgerungen, welche aus der Natur des Krieges gezogen werden müssen, unterworfen bleiben.
Das Ziel des Krieges sollte nach seinem Begriff stets die Niederwerfung des Gegners sein; dies ist die Grundvorstellung, von der wir ausgehen.
Was ist nun diese Niederwerfung? Nicht immer ist die ganze Eroberung des feindlichen Staates dazu nötig. Wäre man im Jahr 1792 nach Paris gekommen, so war nach aller menschlichen Wahrscheinlichkeit der Krieg mit der Revolutionspartei vorderhand geendigt; es war nicht einmal nötig, ihre Heere vorher zu schlagen, denn diese Heere waren noch nicht als einzige Potenz zu betrachten. Im Jahre 1814 hingegen würde man auch mit Paris nicht alles erreicht haben, sobald Bonaparte noch an der Spitze eines beträchtlichen Heeres geblieben wäre; da aber sein Heer größtenteils aufgerieben war, so entschied auch in den Jahren 1814 und 1815 die Einnahme von Paris alles. Hätte Bonaparte im Jahre 1812 das russische Heer von 120000 Mann, welches auf der Straße von Kaluga stand, vor oder nach der Einnahme von Moskau gehörig zertrümmern können, wie er 1805 das österreichische und 1806 das preußische Heer zertrümmert hat, so würde der Besitz jener Hauptstadt höchstwahrscheinlich den Frieden herbeigeführt haben, obgleich noch ein ungeheurer Landstrich zu erwerben blieb. Im Jahre 1805 entschied die Schlacht von Austerlitz; es war also der Besitz von Wien und zwei Dritteln der österreichischen Staaten nicht hinreichend, den Frieden zu gewinnen; von der anderen Seite aber war auch nach jener Schlacht die Integrität von ganz Ungarn nicht hinreichend, ihn zu verhindern. Die Niederlage des russischen Heeres war der letzte Stoß, der erforderlich war; der Kaiser Alexander hatte kein anderes in der Nähe, und so war der Friede eine unzweifelhafte Folge des Sieges. Hätte sich die russische Armee schon an der Donau bei den Österreichern befunden und die Niederlage derselben geteilt, so wäre wahrscheinlich die Eroberung Wiens gar nicht erforderlich gewesen und der Friede schon in Linz geschlossen.
In anderen Fällen reicht die vollständige Eroberung des Staates nicht hin, wie im Jahr 1807 in Preußen, wo der Stoß gegen die russische Hilfsmacht in dem zweifelhaften Siege von Eylau nicht entschieden genug gewesen war, und der unzweifelhafte Sieg bei Friedland werden mußte, was der Sieg bei Austerlitz ein Jahr vorher gewesen war.
Wir sehen, auch hier läßt sich der Erfolg nicht aus allgemeinen Ursachen bestimmen; die individuellen, die kein Mensch übersieht, der nicht zur Stelle ist, und viele moralische, die nie zur Sprache kommen, selbst die kleinsten Züge und Zufälle, die sich in der Geschichte nur als Anekdoten zeigen, sind oft entscheidend. Was sich die Theorie hier sagen kann, ist folgendes: Es kommt darauf an, die vorherrschenden Verhältnisse beider Staaten im Auge zu haben. Aus ihnen wird sich ein gewisser Schwerpunkt, ein Zentrum der Kraft und Bewegung bilden, von welchem das Ganze abhängt, und auf diesen Schwerpunkt des Gegners muß der gesammelte Stoß aller Kräfte gerichtet sein.
Das Kleine hängt stets vom Großen ab, das Unwichtige von dem Wichtigen, das Zufällige von dem Wesentlichen. Dies muß unseren Blick leiten.
Alexander, Gustav Adolf, Karl XII., Friedrich der Große hatten ihren Schwerpunkt in ihrem Heer, wäre dies zertrümmert worden, so würden sie ihre Rolle schlecht ausgespielt haben; bei Staaten, die durch innere Parteiungen zerrissen sind, liegt er meistens in der Hauptstadt; bei kleinen Staaten, die sich an mächtige stützen, liegt er im Heer dieser Bundesgenossen; bei Bündnissen liegt er in der Einheit des Interesses; bei Volksbewaffnung in der Person der Hauptführer und in der öffentlichen Meinung. Gegen diese Dinge muß der Stoß gerichtet sein. Hat der Gegner dadurch das Gleichgewicht verloren, so muß ihm keine Zeit gelassen werden, es wieder zu gewinnen; der Stoß muß immer in dieser Richtung fortgesetzt werden, oder mit anderen Worten, der Sieger muß ihn immer ganz und das Ganze nicht gegen einen Teil des Gegners richten. Nicht indem man mit gemütlicher Ruhe und Übermacht eine feindliche Provinz erobert und den mehr gesicherten Besitz dieser kleinen Eroberung großen Erfolgen vorzieht, sondern indem man den Kern der feindlichen Macht immer wieder aufsucht, das Ganze daransetzt, um das Ganze zu gewinnen, wird man den Gegner wirklich zu Boden werfen.
Was aber such das Hauptverhältnis des Gegners sein mag, wogegen unsere Wirksamkeit zu richten ist, so bleibt doch die Besiegung und Zerstörung seiner Streitkraft der sicherste Anfang und in allen Fällen ein sehr wesentliches Stück.
Wir glauben daher, daß nach der Masse der Erfahrungen folgende Umstände die Niederwerfung des Gegners hauptsächlich ausmachen:
1. Zertrümmerung seines Heeres, wenn es einigermaßen eine Potenz bildet.
2. Einnahme der feindlichen Hauptstadt, wenn sie nicht bloß der Mittelpunkt der Staatsgewalten, sondern auch der Sitz politischer Körper und Parteiungen ist.
3. Ein wirksamer Stoß gegen den hauptsächlichsten Bundesgenossen, wenn dieser an sich bedeutender ist als der Gegner.
Wir haben uns bis jetzt den Gegner im Kriege immer als Einheit gedacht, welches für die allgemeinsten Beziehungen zulässig war. Aber nachdem wir gesagt haben, daß die Niederwerfung des Gegners in der Überwindung seines im Schwerpunkt vereinigten Widerstandes liegt, müssen wir diese Voraussetzung verlassen und den Fall unterscheiden, wo wir es mit mehr als einem Gegner zu tun haben.
Wenn sich zwei oder mehrere Staaten gegen einen dritten verbinden, so bildet das, politisch genommen, nur einen Krieg; indessen hat auch diese politische Einheit ihre Grade.
Die Frage ist: ob jeder Staat ein selbständiges Interesse und eine selbständige Kraft, dasselbe zu verfolgen, besitzt, oder ob sich die Interessen und die Kräfte der übrigen nur an das Interesse und die Kraft des einen unter ihnen anlehnen. Je mehr dies letztere der Fall ist, um so leichter lassen sich die verschiedenen Gegner für uns als ein einziger betrachten, um so eher können wir unsere Hauptunternehmung zu einem Hauptstoß vereinfachen; und solange dies irgend möglich ist, bleibt es das durchgreifendste Mittel zum Erfolg.
Wir würden also den Grundsatz aufstellen, daß, solange wir imstande sind, die übrigen Gegner in einem zu besiegen, die Niederwerfung dieses einen das Ziel des Krieges sein muß, weil wir in diesem einen den gemeinschaftlichen Schwerpunkt des ganzen Krieges treffen.
Es gibt sehr wenig Fälle, wo diese Vorstellungsart nicht zulässig, wo diese Reduktion mehrerer Schwerpunkte auf einen ohne Realität wäre. Wo dies aber nicht ist, bleibt freilich nichts übrig, als den Krieg wie zwei oder mehrere zu betrachten, wovon jeder sein eigenes Ziel hat. Da dieser Fall die Selbständigkeit mehrerer Feinde, folglich die große Überlegenheit aller voraussetzt, so wird darin von Niederwerfung des Gegners überhaupt nicht die Rede sein können.
Wir wenden uns nun bestimmter zu der Frage, warum ein solches Ziel möglich und ratsam ist.
Zuerst muß unsere Streitkraft hinreichend sein:
1. einen entscheidenden Sieg über die feindliche zu erhalten;
2. den Kraftaufwand zu machen, welcher nötig ist, wenn wir den Sieg bis auf den Punkt verfolgen, wo die Herstellung des Gleichgewichts nicht mehr denkbar ist.
Sodann müssen wir nach unserer politischen Lage sicher sein, durch einen solchen Erfolg nicht Feinde zu erwecken, die uns auf der Stelle zwingen können, von dem ersten Gegner abzulassen.
Frankreich konnte im Jahr 1806 Preußen völlig niederwerfen, wenn es sich auch dadurch die ganze russische Kriegsmacht auf den Hals zog, denn es war imstande, sich in Preußen gegen Rußland zu wehren.
Eben das konnte Frankreich 1808 in Spanien in Beziehung auf England, aber nicht in Beziehung auf Österreich. Es mußte 1809 sich in Spanien beträchtlich schwächen und würde es ganz haben aufgeben müssen, wenn es nicht gegen Österreich schon eine zu große physische und moralische Überlegenheit gehabt hätte.
Jene drei Instanzen muß man sich also wohl überlegen, um nicht vor der letzten den Prozeß zu verlieren, den man vor den früheren gewonnen hat, und dann in die Kosten verurteilt zu werden.
Bei dieser Überlegung der Kräfte und dessen, was damit ausgerichtet werden kann, stellt sich häufig der Gedanke ein, nach einer dynamischen Analogie die Zeit als einen Faktor der Kräfte anzusehen und zu meinen: die halbe Anstrengung, die halbe Summe von Kräften würde hinreichen, in zwei Jahren das zustande zu bringen, was in einem nur mit dem Ganzen errungen werden konnte. Diese Ansicht, welche bald klar, bald dunkel den kriegerischen Entwürfen zum Grunde liegt, ist durchaus falsch.
Der kriegerische Akt braucht seine Zeit wie jedes Ding auf Erden; man kann nicht in acht Tagen zu Fuß von Wilna nach Moskau gehen, das versteht sich; aber von einer Wechselwirkung zwischen Zeit und Kraft, wie sie in der Dynamik stattfindet, ist hier keine Spur.
Die Zeit ist beiden Kriegführenden nötig, und es frägt sich nur, welcher von beiden wird seiner Stellung nach am ersten besondere Vorteile von ihr zu erwarten haben; dies aber ist, die Eigentümlichkeit des einen Falles gegen den anderen aufgewogen, offenbar der Unterliegende: freilich nicht nach dynamischen, aber nach psychologischen Gesetzen. Neid, Eifersucht, Besorgnis, auch wohl hin und wieder Edelmut sind die natürlichen Fürsprecher des Unglücklichen, sie werden ihm auf der einen Seite Freunde erwecken, auf der anderen das Bündnis seiner Feinde schwächen und trennen. Es wird sich also mit der Zeit eher für den Eroberten etwas Vorteilhaftes ergeben als für den Erobernden. Ferner ist zu bedenken, daß die Benutzung eines ersten Sieges, wie wir anderswo gezeigt haben, einen großen Kraftaufwand erfordert; dieser will nicht bloß gemacht, er will wie ein großer Hausstand unterhalten sein; nicht immer sind die Staatskräfte, welche uns den Besitz feindlicher Provinzen zugeführt, hinreichend, diese Mehrausgaben auszugleichen, nach und nach wird die Anstrengung schwieriger, zuletzt kann sie unzureichend werden, die Zeit also von selbst einen Umschwung herbeiführen.
Was Bonaparte im Jahr 1812 von Russen und Polen an Geld und anderen Mittel zog, konnte ihm das Hunderttausende von Menschen verschaffen, die er hätte nach Moskau senden müssen, um sich zu behaupten?
Sind die eroberten Provinzen aber bedeutend genug, liegen in ihnen Punkte, die für die nicht eroberten wesentlich sind, so daß das Übel wie ein Krebsschaden von selbst weiterfrißt, so ist es freilich möglich, daß der Erobernde bei diesem Zustande, wenn auch nichts weiter geschieht, mehr gewinnt als verliert. Wenn nun keine Hilfe von außen kommt, so kann die Zeit das angefangene Werk vollenden; was noch nicht erobert war, wird vielleicht von selbst nachfallen. So kann also die Zeit auch ein Faktor seiner Kräfte werden, aber dies ist der Fall, wo dem Unterliegenden kein Rückstoß mehr möglich, wo ein Umschwung nicht mehr denkbar war, und wo also dieser Faktor seiner Kräfte für den Eroberer keinen Wert mehr hat; denn er hat die Hauptsache getan, die Gefahr der Kulmination war vorüber, mit einem Wort, der Gegner war schon niedergeworfen.
Wir haben durch dieses Räsonnement klarmachen wollen, daß keine Eroberung schnell genug vollendet werden kann; daß ihre Verteilung auf einen größeren Zeitraum als absolut nötig, um die Handlung zu vollbringen, sie nicht erleichtert, sondern erschwert. Ist diese Behauptung richtig, so ist es auch die, daß, wenn man überhaupt stark genug ist, eine gewisse Eroberung zu vollbringen, man es auch sein müsse, um sie in einem Zuge zu machen, ohne Zwischenstation. Daß unbedeutende Ruhepunkte, um die Kräfte zu sammeln, um eine und die andere Maßregel zu treffen, hier nicht gemeint sind, versteht sich von selbst.
Mit dieser Ansicht, die dem Angriffskriege einen Charakter des raschen, unaufhaltsamen Entscheidens als wesentlich beilegt, glauben wir diejenige Meinung in ihren Quellen umgangen zu haben, die der unverhaltenen, fortschreitenden Eroberung eine langsame, sogenannte methodische als mehr gesichert und vorsichtiger gegenüberstellt. Aber unsere Behauptung hat vielleicht selbst für diejenigen, die uns willig bis zu ihr gefolgt sind, hinterher so sehr das Ansehen einer paradoxen, ist dem ersten Anschein so sehr entgegen und greift eine Meinung an, die als ein altes Vorurteil so tief gewurzelt, in Büchern tausendmal wiederholt worden ist, daß wir es für geraten halten, die Scheingründe, welche uns entgegentreten, näher zu untersuchen.
Freilich ist es leichter, ein nahes Ziel zu erreichen als ein entferntes; aber wenn das nahe unserer Absicht nicht entspricht, so folgt noch nicht, daß ein Abschnitt, ein Ruhepunkt uns in den Stand setzt, die zweite Hälfte des Weges leichter zu durchlaufen. Ein kleiner Sprung ist leichter als ein großer, aber darum wird doch niemand, der über einen breiten Graben setzen will, zuerst mit einem halben Sprung hineinspringen.
Wenn wir näher ins Auge fassen, was dem Begriff eines sogenannten methodischen Angriffskrieges zum Grunde liegt, so sind es gewöhnlich folgende Gegenstände:
1. Eroberung der feindlichen Festungen, auf welche man stößt;
2. Aufhäufung nötiger Vorräte;
3. Befestigung wichtiger Punkte, als: Niederlagen, Brücken, Stellungen usw.;
4. Ausruhen der Kräfte im Winter und Erholungsquartiere;
5. Abwarten der Verstärkungen des folgenden Jahres.
Setzt man zur Erreichung aller dieser Zwecke einen förmlichen Abschnitt im Laufe des Angriffs, einen Ruhepunkt in der Bewegung fest, so glaubt man, eine neue Basis und neue Kräfte zu gewinnen, als rückte der eigene Staat hinter seiner Armee her, und als erhielte diese mit jedem neuen Feldzuge eine neue Schwungkraft.
Alle diese preislichen Zwecke mögen den Angriffskrieg bequemer machen, aber sie machen ihn nicht in seinen Folgen sicherer und sind meistens nur Scheinbenennungen für gewisse Gegengewichte im Gemüte des Feldherrn oder in der Unentschlossenheit des Kabinetts. Wir wollen sie vom linken Flügel her aufzurollen suchen.
1. Das Abwarten neuer Kräfte ist ebensogut, und man kann wohl sagen, mehr der Fall des Gegners. Außerdem liegt es in der Natur der Sache, daß ein Staat an Streitkräften in einem Jahr ziemlich dasselbe aufstellen kann, was er in zweien aufstellt; denn was ihm in diesem zweiten Jahre an Staatskräften wirklich zuwächst, ist im Verhältnis zum Ganzen nur sehr unbedeutend.
2. Ebenso ruht der Gegner sich mit uns zu gleicher Zeit aus.
3. Die Befestigung von Städten und Stellungen ist nicht das Werk des Heeres und also kein Grund zum Aufenthalt.
4. Wie die Heere sich jetzt verpflegen, sind Magazine mehr nötig, wenn sie still stehen, als wenn sie im Vorschreiten sind. Solange dies glücklich vonstatten geht, kommt man immer in den Besitz feindlicher Vorräte, die da aushelfen, wo die Gegend arm ist.
5. Die Eroberung der feindlichen Festungen kann nicht als ein Innehalten des Angriffs betrachtet werden; es ist ein intensives Vorschreiten und also der dadurch veranlaßte äußere Stillstand nicht eigentlich der Fall, wovon wir sprechen, nicht ein Aufhalten und Ermäßigen der Kraft. Ob aber die wirkliche Belagerung oder eine bloße Einschließung oder gar eine bloße Beobachtung des einen oder anderen das Zweckmäßigste ist, bleibt eine Frage, die erst nach den besonderen Umständen entschieden werden kann. Nur das können wir allgemein sagen, daß bei der Beantwortung dieser Frage lediglich die andere entscheiden muß: ob man durch die bloße Einschließung und weiteres Vorschreiten in zu große Gefahr kommen würde. Wo das nicht ist, wo noch Raum zum Ausbreiten der Kräfte ist, da tut man besser, die förmliche Belagerung bis ans Ende der ganzen Angriffsbewegung aufzusparen. Man muß sich also nicht durch den Gedanken verführen lassen, das Eroberte recht schnell in Sicherheit zu bringen, beiseite zu legen und darüber Wichtigeres versäumen.
Es hat freilich das Ansehen, als ob man beim weiteren Vorschreiten das Errungene gleich wieder aufs Spiel setzte. - - Wir glauben also, daß im Angriffskriege kein Abschnitt, kein Ruhepunkt, keine Zwischenstation naturgemäß ist, sondern daß man sie, wo sie unvermeidlich sind, als Übel betrachten muß, die den Erfolg nicht gewisser, sondern ungewisser machen, ja daß, wenn wir uns streng an die allgemeine Wahrheit halten wollen, es von einem Stationspunkt aus, den wir aus Schwäche haben suchen müssen, in der Regel keinen zweiten Anlauf zum Ziele gibt, daß, wenn dieser zweite Anlauf möglich ist, die Station nicht notwendig war, und daß, wo ein Ziel für die Kräfte von Hause aus zu weit ist, es auch immer zu weit bleiben wird.
Wir sagen, so sieht die allgemeine Wahrheit aus, und wollen damit nur die Idee entfernen, als könne die Zeit an und für sich etwas zum Besten der Angreifenden tun. Da sich aber von einem Jahre zum anderen die politischen Verhältnisse ändern können, so werden darum allein schon häufig Fälle vorkommen, die sich dieser allgemeinen Wahrheit entziehen.
Es hat vielleicht das Ansehen, als hätten wir unseren allgemeinen Gesichtspunkt verloren und nur den Angriffskrieg im Auge gehabt; dies ist aber gar nicht unsere Meinung. Freilich wird derjenige, welcher sich die völlige Niedermachung seines Gegners zum Ziel setzen kann, nicht leicht in dem Falle sein, zur Verteidigung seine Zuflucht zu nehmen, deren nächstes Ziel nur die Erhaltung des Besitzes ist; allein da wir durchaus dabei beharren müssen, eine Verteidigung ohne alles positive Prinzip in der Strategie wie in der Taktik für einen inneren Widerspruch zu erklären, und also immer wieder darauf zurückkommen, daß jede Verteidigung nach Kräften suchen wird, zum Angriff überzugehen, sobald sie die Vorteile der Verteidigung genossen hat, so müssen wir unter das Ziel, welches dieser Angriff haben kann, und welches als das eigentliche Ziel der Verteidigung zu betrachten ist, wie groß oder wie klein es sei, doch auch möglicherweise die Niederwerfung des Feindes aufnehmen und sagen, daß es Fälle geben kann, wo der Kriegführende, ungeachtet er ein so großes Ziel im Auge hatte, es doch vorzog, sich anfangs der verteidigenden Form zu bedienen. Daß diese Vorstellung nicht ohne Realität sei, läßt sich durch den Feldzug von 1812 leicht beweisen. Der Kaiser Alexander hat vielleicht nicht daran gedacht, durch den Krieg, in welchen er sich einließ, seinen Gegner ganz zugrunde zu richten, wie es nachher geschehen ist; aber wäre ein solcher Gedanke unmöglich gewesen? Und würde es nicht dabei immer sehr natürlich geblieben sein, daß die Russen den Krieg verteidigungsweise anfingen?
Wir haben im vorigen Kapitel gesagt, wie wir unter Niederwerfung des Feindes das eigentliche absolute Ziel des kriegerischen Aktes verstehen, wenn wir es für zulässig halten; jetzt wollen wir betrachten, was übrig bleibt, wenn die Bedingungen der Zulässigkeit nicht erfüllt sind.
Diese Bedingungen setzen eine große physische oder moralische Überlegenheit oder einen großen Unternehmungsgeist, einen Hang zu großen Wagnissen voraus. Wo nun dies alles nicht ist, kann das Ziel des kriegerischen Aktes nur von zweierlei Art sein, entweder die Eroberung irgendeines kleinen oder mäßigen Teiles der feindlichen Länder oder das Erhalten des eigenen bis zu besseren Augenblicken; dies letztere ist der gewöhnliche Fall des Verteidigungskrieges.
Wo das eine oder das andere von rechter Art sei, daran erinnert uns schon der Ausdruck, welchen wir bei dem letzten gebraucht haben. Das Abwarten bis zu besseren Augenblicken setzt voraus, daß wir von der Zukunft dergleichen zu erwarten haben, und es ist also dieses Abwarten, d. h. der Verteidigungskrieg, allemal durch diese Aussicht motiviert; dagegen ist allemal der Angriffskrieg, d. h. die Benutzung des gegenwärtigen Augenblicks da geboten, wo die Zukunft nicht uns, sondern dem Feinde bessere Aussichten gewährt.
Der dritte Fall, welcher vielleicht der gewöhnlichste ist, würde der sein, wo beide Teile von der Zukunft nichts Bestimmtes zu erwarten haben, wo also aus ihr such kein Bestimmungsgrund genommen werden kann. In diesem Fall ist der Angriffskrieg offenbar demjenigen geboten, der politisch der Angreifende ist, d. h. der den positiven Grund hat; denn für diesen Zweck hat er sich bewaffnet, und alle Zeit, die verlorengeht ohne hinreichendes Motiv, geht ihm verloren.
Wir haben hier aus Gründen für den Angriffs- oder Verteidigungskrieg entschieden, die mit dem Machtverhältnis weiter nichts zu tun haben, und es könnte doch viel natürlicher scheinen, dies wohl hauptsächlich von dem Machtverhältnis abhängen zu lassen; wir glauben aber, daß man gerade dann vom rechten Wege abkommen würde. Die logische Richtigkeit unserer so einfachen Schlußfolge wird niemand bestreiten, wir wollen nun sehen, ob sie im konkreten Falle ad absurdum führt.
Denken wir uns einen kleinen Staat, der mit sehr überlegenen Kräften in Konflikt geraten ist, aber voraussieht, daß sich seine Lage mit jedem Jahre verschlimmern wird; muß er nicht, wenn er den Krieg nicht vermeiden kann, die Zeit benutzen, wo seine Lage noch weniger schlimm ist? Er muß also angreifen; aber nicht, weil der Angriff an sich ihm Vorteile gewährte, er wird vielmehr die Ungleichheit der Kräfte noch vergrößern, sondern weil er das Bedürfnis hat, die Sache entweder ganz zu entledigen, ehe die schlimmen Perioden eintreten, oder sich wenigstens einstweilen Vorteile zu erringen, von denen er nachher zehren kann. Diese Lehre kann nicht absurd scheinen. Wäre dieser kleine Staat ganz sicher, daß die Gegner gegen ihn vorschreiten werden, dann kann und mag er sich der Verteidigung gegen sie zu Erringung seines ersten Erfolges bedienen, er ist dann nicht in Gefahr, Zeit zu verlieren.
Ferner, denken wir uns einen kleinen Staat mit einem größeren im Kriege begriffen und die Zukunft ohne allen Einfluß auf ihre Entschlüsse, so müssen wir doch, wenn der kleine Staat politisch der Angreifende ist, von ihm such fordern, daß er zu seinem Ziel vorschreite.
Hat er die Keckheit gehabt, sich gegen einen mächtigeren den positiven Zweck vorzusetzen, so muß er such handeln, d. h. den Gegner angreifen, wenn dieser ihm nicht die Mühe erspart. Das Abwarten wäre eine Absurdität; es müßte denn sein, daß er seinen politischen Entschluß im Augenblick der Ausführung geändert hätte, ein Fall, der häufig vorkommt und nicht wenig dazu beiträgt, den Kriegen einen bestimmten Charakter zu geben, aus dem der Philosoph nicht weiß, was er machen soll.
Unsere Betrachtung über das beschränkte Ziel führt uns zu dem Angriffskrieg mit einem solchen und zum Verteidigungskrieg; wir wollen beide in besonderen Kapiteln betrachten. Vorher aber müssen wir uns noch nach einer anderen Seite hinwenden.
Wir haben die Modifikation des kriegerischen Zieles bis jetzt bloß aus den inneren Gründen abgeleitet. Die Natur der politischen Absicht haben wir nur in Betrachtung gezogen, insofern sie etwas Positives will oder nicht. Alles übrige in der politischen Absicht ist im Grunde für den Krieg selbst etwas Fremdes, allein wir haben im zweiten Kapitel des ersten Buches (Zweck und Mittel im Kriege) bereits eingeräumt, daß die Natur des politischen Zweckes, die Größe unserer oder der feindlichen Forderung und unser ganzes politisches Verhältnis faktisch den entscheidendsten Einfluß auf die Kriegführung behauptet, und wir wollen daher im folgenden Kapitel uns damit noch besonders beschäftigen.
Niemals wird man sehen, daß ein Staat, der in der Sache eines anderen auftritt, diese so ernsthaft nimmt wie seine eigene. Eine mäßige Hilfsarmee wird vorgesandt; ist sie nicht glücklich, so sieht man die Sache ziemlich als abgemacht an und sucht so wohlfeil als möglich herauszukommen.
Es ist in der europäischen Politik eine hergebrachte Sache, daß die Staaten sich in Schutz- und Trutzbündnissen zu gegenseitigem Beistand verpflichten, aber nicht so, als wenn die Feindschaft und das Interesse des einen dadurch eben das für den anderen werden sollte, sondern indem sie sich einander ohne Rücksicht auf den Gegenstand des Krieges und die Anstrengungen des Gegners im voraus eine bestimmte, gewöhnlich sehr mäßige Kriegsmacht zusagen. Bei einem solchen Akt der Bundesgenossenschaft betrachtet sich der Bundesgenosse mit dem Gegner nicht in einem eigentlichen Krieg begriffen, der notwendig mit einer Kriegserklärung anfangen und mit einem Friedensschluß endigen müßte. Aber such dieser Begriff besteht nirgends mit einiger Schärfe, und der Gebrauch schwankt hin und her.
Die Sache würde eine Art von innerem Zusammenhang haben und die Theorie des Krieges weniger in Verlegenheit dabei kommen, wenn diese zugesagte Hilfe von 10, 20 oder 30000 Mann dem im Kriege begriffenen Staat völlig überlassen würde, so daß er sie nach seinem Bedürfnis brauchen könnte; alsdann wäre sie wie eine gemietete Truppe zu betrachten. Allein davon ist der Gebrauch weit entfernt. Gewöhnlich haben die Hilfstruppen ihren eigenen Feldherrn, der nur von seinem Hofe abhängt, und dem dieser ein Ziel steckt, wie es sich mit der Halbheit seiner Absichten am besten verträgt.
Aber selbst dann, wenn zwei Staaten wirklich Kriegführende gegen einen dritten sind, heißt es nicht immer, wir müssen diesen dritten als unseren Feind ansehen, den wir vernichten müssen, damit er uns nicht vernichte, sondern die Sache wird oft wie ein Handelsgeschäft abgemacht; ein jeder legt nach Verhältnis der Gefahr, die er zu bestehen und der Vorteile, die er zu erwarten hat, eine Aktie von 30 bis 40000 Mann ein und tut, als könne er nichts als diese dabei verlieren.
Dieser Gesichtspunkt findet nicht bloß dann statt, wenn ein Staat dem anderen in einer Angelegenheit beispringt, die ihm ziemlich fremd ist, sondern selbst dann, wenn beide ein gemeinsames großes Interesse haben, kann es ohne diplomatischen Rückhalt nicht abgehen, und die Unterhandelnden pflegen sich nur zu einem geringen traktatenmäßigen Beistand zu verstehen, um das übrige ihrer kriegerischen Kräfte nach den besonderen Rücksichten zu gebrauchen, zu welchen die Politik etwa führen könnte.
Diese Art, den Bündniskrieg zu betrachten, war ganz allgemein und hat nur in der neuesten Zeit, wo die äußerste Gefahr die Gemüter in die natürlichen Wege hineintrieb, wie gegen Bonaparte, und wo schrankenlose Gewalt sie hineinzwang, wie mit Bonaparte, der natürlichen weichen müssen. Sie ist eine Halbheit, eine Anomalie, denn Krieg und Friede sind im Grunde Begriffe, die keiner Gradation fähig sind; aber sie ist nichtsdestoweniger kein bloßes diplomatisches Herkommen, über welches sich die Vernunft hinwegsetzen könnte, sondern tief in der natürlichen Beschränktheit und Schwäche des Menschen gegründet.
Endlich hat such im eigenen Kriege die politische Veranlassung desselben einen mächtigen Einfluß auf seine Führung.
Wollen wir vom Feinde nur ein geringes Opfer, so begnügen wir uns, durch den Krieg nur ein geringes Äquivalent zu gewinnen, und dazu glauben wir mit mäßigen Anstrengungen zu gelangen. Ungefähr ebenso schließt der Gegner. Findet nun der eine oder der andere, daß er sich in seiner Rechnung etwas betrogen hat, daß er dem Feinde nicht, wie er gewollt, um etwas überlegen, sondern daß er selbst schwächer ist, so fehlt es doch in dem Augenblick gewöhnlich an Geld und an allen anderen Mitteln, es fehlt an hinreichendem moralischen Anstoß zu größerer Energie; man behilft sich also, wie man kann, hofft von der Zukunft günstige Ereignisse, wenn man such gar kein Recht dazu hat, und der Krieg schleppt sich unterdessen wie ein siecher Körper kraftlos fort.
So geschieht es, daß die Wechselwirkung, das Überbieten, das Gewaltsame und Unaufhaltsame des Krieges sich in der Stagnation schwacher Motive verlieren, und daß beide Parteien sich in sehr verkleinerten Kreisen mit einer Art Sicherheit bewegen.
Läßt man diesen Einfluß des politischen Zweckes auf den Krieg einmal zu, wie man ihn denn zulassen muß, so gibt es keine Grenze mehr, und man muß sich gefallen lassen, such zu solchen Kriegen herunterzusteigen, die in bloßer Bedrohung des Gegners und in einem Subsidium des Unterhandelns bestehen.
Daß sich die Theorie des Krieges, wenn sie eine philosophische Überlegung sein und bleiben will, hier in Verlegenheit befindet, ist klar. Alles, was in dem Begriff des Krieges Notwendiges liegt, scheint vor ihr zu fliehen, und sie ist in Gefahr, jedes Stützpunktes zu entbehren. Aber es zeigt sich bald der natürliche Ausweg. Je mehr in den kriegerischen Akt ein ermäßigendes Prinzip kommt, oder vielmehr, je schwächer die Motive des Handelns werden, um so mehr geht das Handeln in ein Leiden über, um so weniger trägt sich zu, um so weniger bedarf es leitender Grundsätze. Die ganze Kriegskunst verwandelt sich in bloße Vorsicht, und diese wird hauptsächlich darauf gerichtet sein, daß das schwankende Gleichgewicht nicht plötzlich zu unserem Nachteil umschlage und der halbe Krieg sich in einen ganzen verwandle.
Nachdem wir uns bis jetzt bei dem Zwiespalt, in dem die Natur des Krieges mit anderen Interessen des einzelnen Menschen und des gesellschaftlichen Verbandes steht, bald nach der einen, bald nach der anderen Seite haben umsehen müssen, um keines dieser entgegengesetzten Elemente zu vernachlässigen, ein Zwiespalt, der in dem Menschen selbst gegründet ist, und den der philosophische Verstand also nicht lösen kann, wollen wir nun diejenige Einheit suchen, zu welcher sich im praktischen Leben diese widersprechenden Elemente verbinden, indem sie sich teilweis gegenseitig neutralisieren. Wir würden diese Einheit gleich von vornherein aufgestellt haben, wenn es nicht notwendig gewesen wäre, eben jene Widersprüche recht deutlich hervorzuheben und die verschiedenen Elemente auch getrennt zu betrachten. Diese Einheit nun ist der Begriff, daß der Krieg nur ein Teil des politischen Verkehrs sei, also durchaus nichts Selbständiges.
Man weiß freilich, daß der Krieg nur durch den politischen Verkehr der Regierungen und der Völker hervorgerufen wird; aber gewöhnlich denkt man sich die Sache so, daß mit ihm jener Verkehr aufhöre und ein ganz anderer Zustand eintrete, welcher nur seinen eigenen Gesetzen unterworfen sei.
Wir behaupten dagegen, der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel. Wir sagen mit Einmischung anderer Mittel, um damit zugleich zu behaupten, daß dieser politische Verkehr durch den Krieg selbst nicht aufhört, nicht in etwas ganz anderes verwandelt wird, sondern daß er in seinem Wesen fortbesteht, wie auch seine Mittel gestaltet sein mögen, deren er sich bedient, und daß die Hauptlinien, an welchen die kriegerischen Ereignisse fortlaufen und gebunden sind, nur seine Lineamente sind, die sich zwischen den Krieg durch bis zum Frieden fortziehen. Und wie wäre es anders denkbar? Hören denn mit den diplomatischen Noten je die politischen Verhältnisse verschiedener Völker und Regierungen auf? Ist nicht der Krieg bloß eine andere Art von Schrift und Sprache ihres Denkens? Er hat freilich seine eigene Grammatik, aber nicht seine eigene Logik.
Hiernach kann der Krieg niemals von dem politischen Verkehr getrennt werden, und wenn dies in der Betrachtung irgendwo geschieht, werden gewissermaßen die Fäden des Verhältnisses zerrissen, und es entsteht ein sinn- und zweckloses Ding.
Diese Vorstellungsart würde selbst dann unentbehrlich sein, wenn der Krieg ganz Krieg, ganz das ungebundene Element der Feindschaft wäre, denn alle die Gegenstände, auf welchen er ruht und die seine Hauptrichtungen bestimmen: eigene Macht, Macht des Gegners, beiderseitige Bundesgenossen, gegenseitiger Volks- und Regierungscharakter usw., wie wir sie im ersten Kapitel des ersten Buches aufgezählt haben, sind sie nicht politischer Natur, und hängen sie nicht mit dem ganzen politischen Verkehr so genau zusammen, daß es unmöglich ist, sie davon zu trennen? - Aber diese Vorstellungsart wird doppelt unentbehrlich, wenn wir bedenken, daß der wirkliche Krieg kein so konsequentes, auf das Äußerste gerichtetes Bestreben ist, wie er seinem Begriff nach sein sollte, sondern ein Halbding, ein Widerspruch in sich; daß er als solcher nicht seinen eigenen Gesetzen folgen kann, sondern als Teil eines anderen Ganzen betrachtet werden muß, - und dieses Ganze ist die Politik.
Die Politik, indem sie sich des Krieges bedient, weicht allen strengen Folgerungen aus, welche aus seiner Natur hervorgehen, bekümmert sich wenig um die endlichen Möglichkeiten und hält sich nur an die nächsten Wahrscheinlichkeiten. Kommt dadurch viel Ungewißheit in den ganzen Handel, wird er also zu einer Art Spiel, so hegt die Politik eines jeden Kabinetts zu sich das Vertrauen, es dem Gegner in Gewandtheit und Scharfsicht bei diesem Spiel zuvorzutun.
So macht also die Politik aus dem alles überwältigenden Element des Krieges ein bloßes Instrument; aus dem furchtbaren Schlachtschwert, was mit beiden Händen und ganzer Leibeskraft aufgehoben sein will, um damit einmal und nicht mehr zuzuschlagen, einen leichten, handlichen Degen, der zuweilen selbst zum Rapier wird, und mit dem sie Stöße, Finten und Paraden abwechseln läßt.
So lösen sich die Widersprüche, in welche der Krieg den von Natur furchtsamen Menschen verwickelt, wenn man dies für eine Lösung gelten lassen will.
Gehört der Krieg der Politik an, so wird er ihren Charakter annehmen. Sobald sie großartiger und mächtiger wird, so wird es auch der Krieg, und das kann bis zu der Höhe steigen, wo der Krieg zu seiner absoluten Gestalt gelangt.
Wir haben also bei dieser Vorstellungsart nicht nötig, den Krieg in dieser Gestalt aus den Augen zu verlieren; vielmehr muß fortwährend sein Bild im Hintergrunde schweben.
Nur durch diese Vorstellungsart wird der Krieg wieder zur Einheit, nur mit ihr kann man alle Kriege als Dinge einer Art betrachten, und nur durch sie wird dem Urteil der rechte und genaue Stand und Gesichtspunkt gegeben, aus welchem die großen Entwürfe gemacht und beurteilt werden sollen.
Freilich dringt das politische Element nicht tief in die Einzelheiten des Krieges hinunter, man stellt keine Vedetten und führt keine Patrouille nach politischen Rücksichten: aber desto entschiedener ist der Einfluß dieses Elementes bei dem Entwurf zum ganzen Kriege, zum Feldzuge und oft selbst zur Schlacht.
Wir haben uns deshalb auch nicht beeilt, diesen Gesichtspunkt gleich anfangs aufzustellen. Bei den einzelnen Gegenständen würde es uns wenig genutzt, unsere Aufmerksamkeit gewissermaßen zerstreut haben; bei dem Kriegs- und Feldzugsplan ist er unentbehrlich.
Es ist überhaupt nichts so wichtig im Leben, als genau den Standpunkt auszumitteln, aus welchem die Dinge aufgefaßt und beurteilt werden müssen, und an diesem festzuhalten; denn nur von einem Standpunkte aus können wir die Masse der Erscheinungen mit Einheit auffassen, und nur die Einheit des Standpunktes kann uns vor Widersprüchen sichern.
Wenn also auch bei Kriegsentwürfen der zwei- und mehrfache Standpunkt nicht zulässig ist, wonach die Dinge angesehen werden könnten, jetzt mit dem Auge des Soldaten, jetzt mit dem des Administrators, jetzt mit dem des Politikers usw., so fragt es sich nun, ob es denn notwendig die Politik ist, der sich alles übrige unterordnen muß.
Daß die Politik alle Interessen der inneren Verwaltung, auch die der Menschlichkeit, und was sonst der philosophische Verstand zur Sprache bringen könnte, in sich vereinigt und ausgleicht, wird vorausgesetzt; denn die Politik ist ja nichts an sich, sondern ein bloßer Sachwalter aller dieser Interessen gegen andere Staaten. Daß sie eine falsche Richtung haben, dem Ehrgeiz, dem Privatinteresse, der Eitelkeit der Regierenden vorzugsweise dienen kann, gehört nicht hierher; denn in keinem Fall ist es die Kriegskunst, welche als ihr Präzeptor betrachtet werden kann, und wir können hier die Politik nur als Repräsentanten aller Interessen der ganzen Gesellschaft betrachten.
Die Frage bleibt also nur, ob bei Kriegsentwürfen der politische Standpunkt dem rein militärischen (wenn ein solcher überhaupt denkbar wäre) weichen, d. h. ganz verschwinden oder sich ihm unterordnen, oder ob er der herrschende bleiben und der militärische ihm untergeordnet werden müsse.
Daß der politische Gesichtspunkt mit dem Kriege ganz aufhören sollte, würde nur denkbar sein, wenn die Kriege aus bloßer Feindschaft Kämpfe auf Leben und Tod wären; wie sie sind, sind sie nichts als Äußerungen der Politik selbst, wie wir oben gezeigt haben. Das Unterordnen des politischen Gesichtspunktes unter den militärischen wäre widersinnig, denn die Politik hat den Krieg erzeugt; sie ist die Intelligenz, der Krieg aber bloß das Instrument, und nicht umgekehrt. Es bleibt also nur das Unterordnen des militärischen Gesichtspunktes unter den politischen möglich.
Denken wir an die Natur des wirklichen Krieges, erinnern wir uns des im dritten Kapitel dieses Buches Gesagten, daß jeder Krieg vor allen Dingen nach der Wahrscheinlichkeit seines Charakters und seiner Hauptumrisse aufgefaßt werden soll, wie sie sich aus den politischen Größen und Verhältnissen ergeben, und daß oft, ja wir können in unseren Tagen wohl behaupten, meistens der Krieg wie ein organisches Ganze betrachtet werden muß, von dem sich die einzelnen Glieder nicht absondern lassen, wo also jede einzelne Tätigkeit mit dem Ganzen zusammenströmen und aus der Idee dieses Ganzen hervorgehen muß, so wird es uns vollkommen gewiß und klar, daß der oberste Standpunkt für die Leitung des Krieges, von dem die Hauptlinien ausgehen, kein anderer als der der Politik sein könne.
Von diesem Standpunkt aus sind die Entwürfe wie aus einem Guß hervorgegangen, das Auffassen und Beurteilen wird leichter, natürlicher, die Überzeugung kräftiger, die Motive befriedigender und die Geschichte verständlicher.
Von diesem Standpunkte aus ist ein Streit zwischen den politischen und kriegerischen Interessen wenigstens nicht mehr in der Natur der Sache und also da, wo er eintritt, nur als eine Unvollkommenheit der Einsicht zu betrachten. Daß die Politik an den Krieg Forderungen macht, die er nicht leisten kann, wäre gegen die Voraussetzung, daß sie das Instrument kenne, welches sie gebrauchen will, also gegen eine natürliche, ganz unerläßliche Voraussetzung. Beurteilt sie aber den Verlauf der kriegerischen Ereignisse richtig, so ist es ganz ihre Sache und kann nur die ihrige sein, zu bestimmen, welche Ereignisse und welche Richtung der Begebenheiten dem Ziele des Krieges entsprechen.
Mit einem Wort, die Kriegskunst auf ihrem höchsten Standpunkte wird zur Politik, aber freilich eine Politik, die statt Noten zu schreiben, Schlachten liefert.
Mit dieser Ansicht ist es eine unzulässige und selbst schädliche Unterscheidung, wonach ein großes kriegerisches Ereignis oder der Plan zu einem solchen eine rein militärische Beurteilung zulassen soll; ja, es ist ein widersinniges Verfahren, bei Kriegsentwürfen Militäre zu Rate zu ziehen, damit sie rein militärisch darüber urteilen sollen, wie die Kabinette wohl tun; aber noch widersinniger ist das Verlangen der Theoretiker, daß die vorhandenen Kriegsmittel dem Feldherrn überwiesen werden sollen, um danach einen rein militärischen Entwurf zum Kriege oder Feldzuge zu machen. Auch lehrt die allgemeine Erfahrung, daß trotz der großen Mannigfaltigkeit und Ausbildung des heutigen Kriegswesens die Hauptlineamente des Krieges doch immer von den Kabinetten bestimmt worden sind, d. h. von einer, wenn man technisch sprechen will, nur politischen, nicht militärischen Behörde.
Dies ist vollkommen in der Natur der Dinge. Keiner der Hauptentwürfe, welche für einen Krieg nötig sind, kann ohne Einsichten in die politischen Verhältnisse gemacht werden, und man sagt eigentlich etwas ganz anderes, als man sagen will, wenn man, was häufig geschieht, von dem schädlichen Einfluß der Politik auf die Führung des Krieges spricht. Es ist nicht dieser Einfluß, sondern die Politik selbst, welche man tadeln sollte. Ist die Politik richtig, d. h. trifft sie ihr Ziel, so kann sie auf den Krieg in ihrem Sinn auch nur vorteilhaft wirken; und wo diese Einwirkung vom Ziel entfernt, ist die Quelle nur in der verkehrten Politik zu suchen.
Nur dann, wenn die Politik sich von gewissen kriegerischen Mitteln und Maßregeln eine falsche, ihrer Natur nicht entsprechende Wirkung verspricht, kann sie mit ihren Bestimmungen einen schädlichen Einfluß auf den Krieg haben. Wie jemand in einer Sprache, der er nicht ganz gewachsen ist, mit einem richtigen Gedanken zuweilen Unrichtiges sagt, so wird die Politik dann oft Dinge anordnen, die ihrer eigenen Absicht nicht entsprechen.
Dies ist unendlich oft vorgekommen, und dies macht es fühlbar, daß eine gewisse Einsicht in das Kriegswesen von der Führung des politischen Verkehrs nicht getrennt werden sollte.
Aber ehe wir ein Wort weiterreden, müssen wir uns vor einer falschen Deutung verwahren, die sehr nahe liegt. Wir sind weit entfernt, zu glauben, daß ein in Akten vergrabener Kriegsminister oder ein gelehrter Ingenieur oder auch selbst ein im Felde tüchtiger Soldat darum den besten Staatsminister abgeben würde, wo der Fürst es nicht selbst ist; oder, mit anderen Worten, wir wollen durchaus nicht, daß diese Einsicht in das Kriegswesen die Haupteigenschaft desselben sei: ein großartiger, ausgezeichneter Kopf, ein starker Charakter, das sind die Haupteigenschaften; die Einsicht in das Kriegswesen läßt sich auf eine oder die andere Art wohl ergänzen. Frankreich ist in seinen kriegerischen und politischen Händeln nie schlechter beraten gewesen als unter den Gebrüdern Belle-Isle und dem Herzog von Choiseul, obgleich alle drei gute Soldaten waren.
Soll ein Krieg ganz den Absichten der Politik entsprechen, und soll die Politik den Mitteln zum Kriege ganz angemessen sein, so bleibt, wo der Staatsmann und der Soldat nicht in einer Person vereinigt sind, nur ein gutes Mittel übrig, nämlich den obersten Feldherrn zum Mitglied des Kabinetts zu machen, damit dasselbe teil an den Hauptmomenten seines Handelns nehme. Dies ist aber wieder nur möglich, wenn das Kabinett, d. h. also die Regierung, selbst sich in der Nähe des Schauplatzes befindet, damit die Dinge ohne merklichen Zeitverlust abgemacht werden können.
So hat es der Kaiser von Österreich im Jahre 1809, und so haben es die verbündeten Monarchen in den Jahren 1813, 1814 und 1815 gemacht, und diese Einrichtung hat sich vollkommen bewährt.
Höchst gefährlich ist der Einfluß eines anderen Militärs als des obersten Feldherrn im Kabinett; selten wird das zum gesunden tüchtigen Handeln führen. Frankreichs Beispiel, wo Carnot 1793, 1794 und 1795 die Kriegsangelegenheiten von Paris aus leitete, ist durchaus verwerflich, weil der Terrorismus nur revolutionären Regierungen zu Gebote steht.
Wir wollen jetzt mit einer historischen Betrachtung schließen.
Als in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts eine merkwürdige Umwälzung der europäischen Kriegskunst eintrat, wodurch die besten Heere einen Teil ihrer Kunst unwirksam werden sahen, und kriegerische Erfolge stattfanden, von deren Größe man bisher keinen Begriff gehabt hatte, schien es freilich, daß aller falsche Kalkül der Kriegskunst zur Last falle. Es war offenbar, daß sie, durch die Gewohnheit in engere Kreise der Begriffe eingeschränkt, überfallen worden war durch Möglichkeiten, die außerhalb dieser Kreise, aber freilich nicht außerhalb der Natur der Dinge lagen.
Diejenigen Beobachter, welche den umfassendsten Blick hatten, schrieben die Erscheinung dem allgemeinen Einfluß zu, welchen die Politik seit Jahrhunderten auf die Kriegskunst zum größten Nachteil derselben gehabt hatte, und wodurch diese zu einem Halbdinge, oft zu einer wahren Spiegelfechterei herabgesunken war. Das Faktum war richtig, aber es war nur falsch, dasselbe als ein zufällig entstandenes, vermeidliches Verhältnis anzusehen.
Andere glaubten, alles aus dem augenblicklichen Einfluß der individuellen Politik Österreichs, Preußens, Englands usw. erklären zu können.
Ist es aber wahr, daß der eigentliche Überfall, wovon sich die Intelligenz getroffen fühlte, innerhalb der Kriegführung fällt und nicht innerhalb der Politik selbst? D. h. nach unserer Sprache zu reden: ist das Unglück entstanden aus dem Einfluß der Politik auf den Krieg oder aus der falschen Politik selbst?
Die ungeheuren Wirkungen der französischen Revolution nach außen sind aber offenbar viel weniger in neuen Mitteln und Ansichten ihrer Kriegführung als in der ganz veränderten Staats- und Verwaltungskunst, in dem Charakter der Regierung, in dem Zustande des Volkes usw. zu suchen. Daß die anderen Regierungen alle diese Dinge unrichtig ansahen, daß sie mit gewöhnlichen Mitteln Kräften die Waage halten wollten, die neu und überwältigend waren: das alles sind Fehler der Politik.
Hätte man nun diese Fehler von dem Standpunkte einer rein militärischen Auffassung des Krieges einsehen und verbessern können? Unmöglich. Denn wenn es auch wirklich einen philosophischen Strategen gegeben hätte, welcher bloß aus der Natur des feindlichen Elementes alle Folgen hätte herleiten und dadurch eine Prophezeiung entfernter Möglichkeiten aufstellen wollen, so wäre es doch rein unmöglich gewesen, solchen Hirngespinsten die geringste Folge zu geben.
Nur wenn die Politik sich zu einer richtigen Würdigung der in Frankreich erwachten Kräfte und der in der Politik Europas neuentstehenden Verhältnisse erhob, konnte sie das Resultat vorhersehen, welches für die großen Lineamente des Krieges daraus entstehen würde, und nur auf diese Weise auf den notwendigen Umfang der Mittel und die Wahl der besten Wege geführt werden.
Man kann also sagen: die zwanzigjährigen Siege der Revolution sind hauptsächlich die Folge der fehlerhaften Politik der ihr gegenüberstehenden Regierungen.
Freilich haben sich diese Fehler erst innerhalb des Krieges offenbart, und die Erscheinungen desselben haben den Erwartungen, welche die Politik hatte, völlig widersprochen. Dies ist aber nicht deshalb geschehen, weil die Politik versäumt hatte, sich bei der Kriegskunst Rats zu erholen. Diejenige Kriegskunst, an welche ein Politiker glauben konnte, d. h. die aus der wirklichen Welt, die der Politik der Zeit zugehörige, das ihr wohlbekannte Instrument, dessen sie sich bis dahin bedient hatte, diese Kriegskunst, sage ich, war natürlich in dem Irrtum der Politik mitbefangen und konnte sie darum nicht eines Besseren belehren. Es ist wahr, auch der Krieg selbst hat in seinem Wesen und in seinen Formen bedeutende Veränderungen erlitten, die ihn seiner absoluten Gestalt nähergebracht haben; aber diese Veränderungen sind nicht dadurch entstanden, daß die französische Regierung gewissermaßen emanzipiert, vom Gängelbande der Politik losgelassen hätte, sondern sie sind aus der veränderten Politik entstanden, welche aus der französischen Revolution sowohl für Frankreich als für ganz Europa hervorgegangen ist. Diese Politik hatte andere Mittel, andere Kräfte aufgeboten und dadurch eine Energie der Kriegführung möglich gemacht, an welche außerdem nicht zu denken gewesen wäre.
Also auch die wirklichen Veränderungen der Kriegskunst sind eine Folge der veränderten Politik, und weit entfernt, für die mögliche Trennung beider zu beweisen, sind sie vielmehr ein starker Beweis ihrer innigen Vereinigung.
Also noch einmal: der Krieg ist ein Instrument der Politik; er muß notwendig ihren Charakter tragen, er muß mit ihrem Maße messen; die Führung des Krieges in seinen Hauptumrissen ist daher die Politik selbst, welche die Feder mit dem Degen vertauscht, aber darum nicht aufgehört hat, nach ihren eigenen Gesetzen zu denken.
Selbst dann, wenn auch nicht die Niederwerfung des Gegners das Ziel sein kann, kann es doch noch ein unmittelbar positives sein, und dieses positive Ziel kann also nur in der Eroberung eines Teiles der feindlichen Länder bestehen.
Der Nutzen einer solchen Eroberung besteht darin, daß wir die feindlichen Staatskräfte, folglich auch seine Streitkräfte, schwächen und die unserigen vermehren; daß wir also den Krieg zum Teil auf seine Kosten führen. Ferner, daß beim Friedensschluß der Besitz feindlicher Provinzen als ein barer Gewinn anzusehen ist, weil wir sie entweder behalten oder andere Vorteile dafür eintauschen können.
Diese Ansicht von einer Eroberung des feindlichen Staates ist sehr natürlich und würde nichts gegen sich haben, wenn nicht der Verteidigungszustand, welcher dem Angriff folgen muß, häufig Bedenken erregen könnte.
In dem Kapitel vom Kulminationspunkt des Sieges haben wir hinreichend auseinandergesetzt, auf welche Weise eine solche Offensive die Streitkräfte schwächt, und daß ihr ein Zustand folgen kann, der gefährliche Folgen besorgen läßt.
Diese Schwächung unserer Streitkraft durch die Eroberung eines feindlichen Landstriches hat ihre Grade, und diese hängen am meisten von der geographischen Lage eines solchen Landstriches ab. Je mehr er ein Supplement unserer eigenen Länder ist, innerhalb derselben liegt oder sich an ihnen hinzieht, je mehr er in der Richtung der Hauptkräfte liegt, um so weniger wird er unsere Streitkraft schwächen. Sachsen, im Siebenjährigen Kriege, war ein natürliches Supplement des preußischen Kriegstheaters, und die Streitkraft Friedrichs des Großen wurde durch die Besetzung desselben nicht bloß nicht vermindert, sondern verstärkt, weil es Schlesien näher liegt als der Mark und diese doch zugleich deckt.
Selbst Schlesien, nachdem Friedrich der Große im Jahr 1740 und 1741 es einmal erobert hatte, schwächte seine Streitkräfte nicht, denn seiner Gestalt und Lage sowie der Beschaffenheit seiner Grenze nach bot es den Österreichern nur eine schmale Spitze dar, solange sie nicht Meister von Sachsen waren, und dieser schmale Punkt des Kontaktes lag ohnehin noch in der Richtung, welche die gegenseitigen Hauptstöße nehmen mußten.
Wenn dagegen der eroberte Landstrich sich mitten zwischen die anderen feindlichen Provinzen hineinstreckt, eine exzentrische Lage hat und eine ungünstige Gestalt des Bodens, so wächst die Schwächung so sichtbar, daß nicht bloß eine siegreiche Schlacht dem Feinde erleichtert, sondern daß diese für ihn unnötig wird.
Die Österreicher haben jedesmal die Provence ohne Schlacht räumen müssen, wenn sie von Italien aus einen Versuch darauf gemacht haben. Die Franzosen im Jahr 1744 dankten Gott, aus Böhmen zu entkommen, auch ohne eine Schlacht verloren zu haben. Friedrich der Große konnte sich 1758 in Böhmen und Mähren nicht halten mit derselben Streitkraft, die ihm im Jahr 1757 in Schlesien und Sachsen so glänzende Erfolge gegeben hatte. Überhaupt gehören die Beispiele von Armeen, die sich in dem eroberten Landstrich nicht halten konnten, bloß weil ihre Streitkraft dadurch geschwächt wurde, zu dem gewöhnlichen Vorkommen, und es ist also nicht der Mühe wert, noch andere davon herauszuheben.
Es kommt also bei der Frage, ob wir uns ein solches Ziel stecken sollen, darauf an, ob wir uns versprechen können, im Besitz der Eroberung zu bleiben, oder ob ein vorübergehender Besitz (Invasion, Diversion) die darauf verwendeten Kräfte hinreichend vergilt, besonders, ob nicht ein starker Rückschlag zu befürchten ist, der uns ganz aus dem Gleichgewicht wirft. Wie vieles bei dieser Frage in jedem einzelnen Fall zu überlegen ist, davon haben wir im Kapitel von dem Kulminationspunkt gesprochen.
Nur eines müssen wir noch hinzufügen.
Eine solche Offensive ist nicht immer geeignet, dasjenige wieder einzubringen, was wir auf anderen Punkten verlieren. Während wir uns mit einer Teileroberung beschäftigen, kann der Feind auf anderen Punkten dasselbe tun, und wenn unser Unternehmen nicht von einer überwiegenden Wichtigkeit ist, so wird der Feind dadurch nicht gezwungen werden, das seinige aufzugeben. Es kommt also auf eine reifliche Überlegung an, ob wir auf der einen Seite nicht mehr verlieren, als wir auf der anderen gewinnen.
An und für sich verliert man immer mehr durch die feindliche Eroberung, als man durch die eigene gewinnt, wenn auch der Wert beider Provinzen genau derselbe sein sollte, weil eine Menge von Kräften gewissermaßen als feux froids außer Wirksamkeit kommen. Allein da dies auch der Fall beim Gegner ist, so sollte dies eigentlich kein Grund sein, mehr auf die Erhaltung als auf die Eroberung bedacht zu sein. Und doch ist es so. Die Erhaltung des Eigenen liegt immer näher, und der eigene Schmerz, den unser Staat erleidet, wird nur dann durch die Vergeltung aufgewogen und gewissermaßen neutralisiert, wenn diese merkliche Prozente verspricht, d. h. viel größer ist.
Die Folge von allem ist: daß ein solcher strategischer Angriff, der nur ein mäßiges Ziel hat, sich viel weniger von der Verteidigung der anderen, durch ihn nicht unmittelbar gedeckten Punkte losmachen kann als einer, der gegen den Schwerpunkt des feindlichen Staates gerichtet ist; es kann also in ihm auch die Vereinigung der Kräfte in Zeit und Ort niemals so weit getrieben werden. Damit sie nun wenigstens in der Zeit stattfinden könne, so entsteht das Bedürfnis, von allen einigermaßen dazu geeigneten Punkten angriffsweise, und zwar gleichzeitig, vorzugehen, und es entgeht also diesem Angriff der andere Vorteil, daß er sich durch die Verteidigung auf einzelnen Punkten mit weit geringeren Kräften behelfen könnte. Auf diese Weise stellt sich bei einem so mittelmäßigen Ziele alles mehr im Niveau; der ganze kriegerische Akt kann nicht mehr in eine Haupthandlung zusammengedrängt und diese nach Hauptgesichtspunkten geleitet werden; er breitet sich mehr aus, überall wird die Friktion größer und überall dem Zufall mehr Feld eingeräumt.
Dies ist die natürliche Tendenz der Sache. Der Feldherr wird durch sie heruntergezogen, immer mehr neutralisiert. Je mehr er sich fühlt, je mehr innere Hilfsmittel und äußere Gewalt er hat, um so mehr wird er suchen, sich von dieser Tendenz loszumachen, um einem einzelnen Punkt eine vorherrschende Wichtigkeit zu geben, sollte es auch nur durch ein größeres Wagen möglich werden.
Das endliche Ziel der Verteidigungskriege kann niemals eine absolute Negation sein, wie wir es schon früher gesagt haben. Es muß auch für den Schwächsten irgend etwas geben, womit er seinem Gegner empfindlich werden, ihn bedrohen kann.
Zwar könnte man sagen, dieses Ziel könne im Ermüden des Gegners bestehen, denn da dieser das Positive will, so ist im Grunde jede fehlgeschlagene Unternehmung, wenn sie auch keine andere Folgen hat als den Verlust der darauf verwendeten Kräfte, schon ein Zurückschreiten, während der Verlust, welchen der Angegriffene erleidet, nicht vergeblich war, weil die Erhaltung sein Ziel war und dieses Ziel erreicht ist. So, würde man sagen, liegt für den Verteidiger in der bloßen Erhaltung sein positives Ziel. Diese Vorstellungsart könnte gelten, wenn man imstande wäre, zu sagen: der Angreifende muß nach einer bestimmten Anzahl vergeblicher Versuche ermüden und nachlassen. Allein diese Notwendigkeit fehlt eben. Sehen wir auf das reelle Erschöpfen der Kräfte, so ist der Verteidiger bei der Totalvergleichung im Nachteil. Der Angriff schwächt, aber nur in dem Sinn, daß es einen Umschwungspunkt geben kann; wo dieser gar nicht mehr gedacht wird, ist die Schwächung allerdings größer beim Verteidiger als beim Angreifenden: denn teils ist er der Schwächere, und bei gleicher Einbuße verliert er also mehr als der andere, teils nimmt ihm jener gewöhnlich einen Teil seiner Länder und Hilfsquellen.
Es kann also hieraus kein Grund des Nachlassens für den Gegner entnommen werden, und es bleibt immer nur die Vorstellung übrig, daß, wenn der Angreifende seine Streiche wiederholt, während der Verteidiger nichts tut, als sie abzuwehren, dieser die Gefahr, daß einer früher oder später gelingen könnte, durch kein Gegengewicht ausgleichen kann.
Wenn also auch wirklich die Erschöpfung oder vielmehr die Ermüdung des Stärkeren schon oft einen Frieden herbeigeführt hat, so liegt das in jener Halbheit, welche der Krieg meistens hat, und kann philosophisch nicht als das allgemeine und letzte Ziel irgendeiner Verteidigung gedacht werden, und es bleibt nichts übrig, als daß diese ihr Ziel in dem Begriff des Abwartens findet, der überhaupt ihr eigentliches Charakteristikon ist. Dieser Begriff schließt eine Veränderung der Umstände, eine Verbesserung der Lage in sich, die also da, wo sie durch innere Mittel, d. h. durch den Widerstand selbst, gar nicht erreicht werden kann, nur von außen zu erwarten ist. Diese Verbesserung von außen kann nun keine andere sein als andere politische Verhältnisse; es entstehen entweder für den Verteidiger neue Bündnisse, oder alte, die gegen ihn gerichtet waren, zerfallen.
Dies ist also das Ziel des Verteidigers, im Fall seine Schwäche ihm nicht erlaubt, an irgendeinen bedeutenden Rückstoß zu denken. So ist aber nicht jede Verteidigung nach dem Begriff, welchen wir davon gegeben haben. Nach diesem ist sie die stärkere Form des Krieges und kann also um dieser Stärke willen auch dann angewendet werden, wenn es auf einen mehr oder weniger starken Rückschlag abgesehen ist.
Diese beiden Fälle muß man von vornherein trennen, weil sie Einfluß auf die Verteidigung haben.
Im ersten Fall sucht der Verteidiger sein Land so lange wie möglich zu besitzen und intakt zu erhalten, weil er dabei die meiste Zeit gewinnt, und Zeit gewinnen der einzige Weg zum Ziel ist. Das positive Ziel, was er meist erreichen kann, was ihm Gelegenheit geben soll, seine Absicht beim Frieden durchzusetzen, kann er noch nicht in seines Kriegsplan aufnehmen. In dieser strategischen Passivität sind die Vorteile, welche er auf einzelnen Punkten erhalten kann, bloße abgewehrte Streiche; das Übergewicht, welches er auf diesen Punkten gewinnt, führt er auf andere Punkte über, denn gewöhnlich ist da Not an allen Ecken und Orten; hat er dazu keine Gelegenheit, so bleibt ihm oft nur der kleine Gewinn übrig, daß der Feind ihm eine Zeitlang Ruhe lassen wird.
Kleine Offensivunternehmungen, wobei es geringer auf einen bleibenden Besitz als auf einen einstweiligen Vorteil als Spielraum für spätere Einbuße abgesehen ist, Invasionen, Diversionen, Unternehmungen gegen eine einzelne Festung können, wenn der Verteidiger nicht allzuschwach ist, in diesem Verteidigungssystem Platz finden, ohne das Ziel und Wesen desselben zu ändern.
Im zweiten Fall aber, wo der Verteidigung schon eine positive Absicht eingeimpft ist, nimmt sie auch mehr den positives Charakter an, und zwar um so mehr, je größer der Rückstoß ist, welchen die Verhältnisse zulassen. Mit anderen Worten: je mehr die Verteidigung aus freier Wahl entstanden ist, um den ersten Stoß sicher zu führen, um so kühnere Schlingen darf der Verteidiger dem Gegner legen. Das Kühnste und, wenn es gerät, Wirksamste ist der Rückzug ins Innere des Landes; und dieses Mittel ist dann zugleich dasjenige, welches von dem anderen System am weitesten entfernt ist.
Man denke nur an die Verschiedenheit der Lage, in welcher sich Friedrich der Große im Siebenjährigen Kriege und Rußland im Jahr 1812 befunden haben.
Als der Krieg anfing, hatte Friedrich durch seine Schlagfertigkeit eine Art Überlegenheit; dies verschaffte ihm den Vorteil, sich Sachsens zu bemächtigen, welches übrigens so sehr ein natürliches Complement seines Kriegstheaters war, daß der Besitz desselben seine Streitkräfte nicht verminderte, sondern vermehrte.
Bei Eröffnung des Feldzuges von 1757 suchte er seines strategischen Angriff fortzusetzen, welches, solange die Russen und Franzosen noch nicht auf dem Kriegstheater von Schlesien, der Mark und Sachsen angekommen waren, nicht unmöglich war. Der Angriff mißlang, er wurde für den übrigen Teil des Feldzuges auf die Verteidigung zurückgeworfen, mußte Böhmen wieder räumen und das eigene Kriegstheater vom Feinde befreien, welches ihm nur gelang, indem er sich mit einer und derselben Armee erst gegen die Österreicher wandte, und diesen Vorteil verdankte er nur der Verteidigung.
Im Jahr 1758, wo seine Feinde den Kreis schon enger um ihn gezogen hatten, und seine Streitkräfte anfingen, in ein sehr ungleiches Verhältnis zu kommen, wollte er noch eine kleine Offensive in Mähren versuchen; er gedachte Olmütz zu nehmen, ehe seine Gegner recht unter den Waffen wären; nicht in der Hoffnung, es zu behalten oder gar von da aus weiter vorzuschreiten, sondern es als ein Außenwerk, eine contre-approche gegen die Österreicher zu benutzen, die dann den übrigen Feldzug, vielleicht noch einen zweiten, darauf verwenden mußten, um es wieder zu nehmen. Auch dieser Angriff mißlang. Friedrich gab nun den Gedanken an jede wirkliche Offensive auf, weil er fühlte, wie sie nur das Mißverhältnis in den Streitkräften vermehrte. Eine zusammengezogene Aufstellung in der Mitte seiner Länder, in Sachsen und Schlesien, eine Benutzung der kurzen Linien, um die Streitkräfte plötzlich auf dem bedrohten Punkte zu vermehren, eine Schlacht, wo sie unvermeidlich wurde, kleine Invasionen, wo sich die Gelegenheit darbot, und demnächst ein ruhiges Abwarten, ein Aufsparen seiner Mittel für bessere Zeiten, war nun sein Kriegsplan im Großen. Nach und nach wurde die Ausführung immer passiver. Da er sah, daß auch die Siege ihm zu viel kosteten, so versuchte er es, mit wenigerem auszukommen; es kam ihm nur auf Zeitgewinn an, nur auf die Erhaltung dessen, was er noch besaß, er wurde mit dem Boden immer ökonomischer und scheute sich nicht, in ein wahrhaftes Kordonsystem überzugehen. Diesen Namen verdienen sowohl die Stellungen des Prinzen Heinrich in Sachsen als die des Königs im schlesischen Gebirge. In seines Briefen an den Marquis d'Argens sieht man die Ungeduld, mit der er den Winterquartieren entgegensieht, und wie froh er ist, wenn er sie wieder beziehen kann, ohne merklich eingebüßt zu haben.
Wer Friedrich hierin tadeln und darin nur seines gesunkenen Mut sehen wollte, würde, wie es uns scheint, ein sehr unüberlegtes Urteil fällen.
Wenn das verschanzte Lager von Bunzelwitz, die Postierungen des Prinzen Heinrich in Sachsen und des Königs im schlesischen Gebirge uns jetzt nicht mehr wie solche Maßnehmungen erscheinen, auf welche man seine letzte Hoffnung setzen kann, weil ein Bonaparte diese taktischen Spinngewebe bald durchstoßen würde, so muß man nicht vergessen, daß die Zeiten sich geändert haben, daß der Krieg ein ganz anderer geworden ist, von anderen Kräften belebt, und daß also damals Stellungen wirksam sein konnten, die es nicht mehr sind, daß aber auch der Charakter des Gegners Rücksicht verdient. Gegen die Reichsarmee, gegen Daun und Buturlin konnte der Gebrauch von Mitteln, die Friedrich selbst für nichts gehalten haben würde, die höchste Weisheit sein.
Der Erfolg hat diese Ansicht gerechtfertigt. Im ruhigen Abwarten hat Friedrich das Ziel erreicht und Schwierigkeiten umgangen, gegen die seine Kraft zerschellt sein würde. -
Das Verhältnis der Streitkräfte, welche die Russen den Franzosen im Jahr 1812 bei Eröffnung des Feldzuges entgegenzustellen hatten, war noch viel ungünstiger, als es für Friedrich dem Großen im Siebenjährigen Kriege gewesen war. Allein die Russen hatten die Aussicht, sich im Laufe des Feldzuges beträchtlich zu verstärken. Bonaparte hatte ganz Europa zu heimlichen Feinden, seine Macht war auf den äußersten Punkt hinaufgeschraubt, ein verzehrender Krieg beschäftigte ihn in Spanien, und das weite Rußland erlaubte, durch einen hundert Meilen langen Rückzug die Schwächung der feindlichen Streitkräfte aufs äußerste zu treiben. Unter diesen großartigen Umständen war nicht allein auf einen starken Rückschlag zu rechnen, wenn das französische Unternehmen nicht gelang (und wie konnte es gelingen, wenn der Kaiser Alexander nicht Friede machte oder seine Untertanen nicht rebellierten?), sondern dieser Rückschlag konnte auch den Untergang des Gegners herbeiführen. Die höchste Weisheit hätte also keinen besseren Kriegsplan angeben können, als derjenige war, welchen die Russen unabsichtlich befolgten.
Daß man damals nicht so dachte und eine solche Ansicht für eine Extravaganz gehalten haben würde, ist für uns jetzt kein Grund, sie nicht als die richtige aufzustellen. Sollen wir aus der Geschichte lernen, so müssen wir die Dinge, weiche sich wirklich zugetragen haben, doch auch für die Folge als möglich ansehen, und daß die Reihe der großen Begebenheiten, die dem Marsch auf Moskau gefolgt sind, nicht eine Reihe von Zufällen ist, wird jeder einräumen, der auf ein Urteil in solchen Dingen Anspruch machen kann. Wäre es den Russen möglich gewesen, ihre Grenzen notdürftig zu verteidigen, so wäre zwar ein Sinken der französischen Macht und ein Umschwung des Glückes immer wahrscheinlich geblieben, aber er wäre gewiß nicht so gewaltsam und entscheidend eingetreten. Mit Opfern und Gefahren (die freilich für jedes andere Land viel größer, für die meisten unmöglich gewesen wären) hat Rußland diesen ungeheuren Vorteil gekauft.
So wird man immer einen großen positiven Erfolg nur durch positive, auf Entscheidung und nicht auf bloßes Abwarten gerichtete Maßregeln herbeiführen, kurz, man erhält auch in der Verteidigung den großen Gewinn nur durch einen hohen Einsatz.
Nachdem wir die verschiedenen Zielpunkte, welche der Krieg haben kann, näher charakterisiert haben, wollen wir die Anordnung des ganzen Krieges für die drei einzelnen Abstufungen durchgehen, welche sich nach jenen Zielpunkten ergeben haben.
Nach allem, was wir bis jetzt über den Gegenstand schon gesagt haben, werden zwei Hauptgrundsätze den ganzen Kriegsplan umfassen und allen übrigen zur Richtung dienen.
Der erste ist: das Gewicht der feindlichen Macht auf so wenig Schwerpunkte als möglich zurückzuführen, wenn es sein kann, auf einen; wiederum den Stoß gegen diese Schwerpunkte auf so wenig Haupthandlungen als möglich zurückzuführen, wenn es sein kann, auf eine; endlich alle untergeordnete Handlungen so untergeordnet als möglich zu halten. Mit einem Wort, der erste Grundsatz ist: so konzentriert als möglich zu handeln.
Der zweite Grundsatz: so schnell als möglich zu handeln, also keinen Aufenthalt und keinen Umweg ohne hinreichenden Grund.
Das Reduzieren der feindlichen Macht auf einen Schwerpunkt hängt ab:
Erstens von dem politischen Zusammenhang derselben. Sind es Heere eines Herrn, so hat es meist keine Schwierigkeit; sind es verbündete Heere, deren das eine als bloßer Bundesgenosse ohne eigenes Interesse handelt, so ist die Schwierigkeit nicht viel größer; sind es zu gemeinschaftlichen Zwecken Verbündete, so kommt es auf den Grad der Befreundung an; wir haben davon schon geredet.
Zweitens von der Lage des Kriegstheaters, auf welchem die verschiedenen feindlichen Heere erscheinen.
Sind die feindlichen Kräfte auf einem Kriegstheater in einem Heere beisammen, so bilden sie faktisch eine Einheit, und wir brauchen nach dem übrigen nicht zu fragen; sind sie auf einem Kriegstheater in getrennten Heeren, die verschiedenen Mächten angehören, so ist die Einheit nicht mehr absolut, es ist aber doch noch ein hinreichender Zusammenhang der Teile da, um durch einen entschiedenen Stoß gegen einen Teil den anderen mitfortzureißen. Sind die Heere auf benachbarten, durch keine großen Naturgegenstände getrennten Kriegstheatern aufgestellt, so fehlt es auch hier noch nicht an dem entschiedenen Einfluß des einen auf das andere; sind die Kriegstheater sehr weit voneinander entfernt, liegen neutrale Strecken, große Gebirge usw. dazwischen, so ist der Einfluß sehr zweifelhaft, also unwahrscheinlich; liegen sie gar an ganz verschiedenen Seiten des bekriegten Staates, so daß die Wirkungen gegen dieselben in exzentrischen Linien auseinandergehen, so ist fast die Spur jedes Zusammenhanges verschwunden.
Wenn Preußen von Rußland und Frankreich zugleich bekriegt würde, so wäre das in Beziehung auf die Kriegführung so gut, als wenn es zwei verschiedene Kriege wären; allenfalls würde die Einheit in den Unterhandlungen zum Vorschein kommen.
Die sächsische und die österreichische Kriegsmacht im Siebenjährigen Kriege waren dagegen als eine zu betrachten; was die eine litt, mußte die andere mitempfinden, teils wie die Kriegstheater in derselben Richtung für Friedrich dem Großen lagen, teils weil Sachsen gar keine politische Selbständigkeit hatte.
Soviel Feinde Bonaparte im Jahr 1813 zu bekämpfen hatte, so lagen sie ihm doch alle ziemlich nach einer Richtung hin, und die Kriegstheater ihrer Heere standen in einer nahen Verbindung und starken Wechselwirkung. Hätte er irgendwo durch Vereinigung seiner Kräfte die Hauptmacht überwältigen können, so hätte er dadurch über alle Teile entschieden. Wenn er die böhmische Hauptarmee geschlagen hätte, über Prag gegen Wien vorgedrungen wäre, so hätte Blücher bei dem besten Willen nicht in Sachsen bleiben können, weil man ihn nach Böhmen zu Hilfe gerufen haben würde, und dem Kronprinzen von Schweden würde es sogar an gutem Willen gefehlt haben, in der Mark zu bleiben.
Dagegen wird es für Österreich immer schwer sein, wenn es den Krieg gegen Frankreich am Rhein und in Italien zugleich führt, durch einen erfolgreichen Stoß auf einem dieser Kriegstheater über das andere mit zu entscheiden. Teils trennt die Schweiz mit ihren Bergen beide Kriegstheater zu stark, teils ist die Richtung der Straßen auf beiden exzentrisch. Frankreich dagegen kann schon eher durch einen entscheidenden Erfolg auf dem einen über das andere mitentscheiden, weil die Richtung seiner Kräfte auf beide konzentrisch gegen Wien und den Schwerpunkt der österreichischen Monarchie geht; ferner kann man sagen, daß es leichter von Italien aus über das rheinische Kriegstheater als umgekehrt mitentscheiden kann, weil der Stoß von Italien aus mehr auf das Zentrum und der vom Rhein aus mehr auf den Flügel der österreichischen Macht trifft.
Es geht hieraus hervor, daß der Begriff von getrennter und zusammenhängender feindlicher Macht auch durch alle Stufenverhältnisse fortläuft, und daß man also im einzelnen Fall erst übersehen kann, welchen Einfluß die Begebenheiten des einen Kriegstheaters auf das andere haben werden, wonach sich dann erst ausmachen läßt, inwiefern man die verschiedenen Schwerpunkte der feindlichen Macht auf einen zurückführen kann.
Von dem Grundsatz, alle Kraft gegen den Schwerpunkt der feindlichen Macht zu richten, gibt es nur eine Ausnahme: wenn nämlich Nebenunternehmungen ungewöhnliche Vorteile versprechen, und doch setzen wir dabei voraus, daß entschiedene Überlegenheit uns dazu in den Stand setzt, ohne auf dem Hauptpunkt zu viel zu wagen.
Als General Bülow im Jahr 1814 nach Holland marschierte, konnte man voraussehen, daß die 30000 Mann seines Korps nicht allein ebensoviel Franzosen neutralisieren, sondern auch den Holländern und Engländern Gelegenheit geben würden, mit Kräften aufzutreten, die ohnedem gar nicht in Wirksamkeit gekommen wären.
So wird also der erste Gesichtspunkt beim Entwurf des Krieges der sein: die Schwerpunkte der feindlichen Macht auszumitteln und sie womöglich auf einen zurückzuführen. Der zweite wird sein: die Kräfte, welche gegen diesen Schwerpunkt gebraucht werden sollen, zu einer Haupthandlung zu vereinigen.
Hier können nun folgende Gründe für ein Teilen und Trennen der Streitkräfte uns entgegentreten:
1. Die ursprüngliche Aufstellung der Streitkräfte, also auch die Lager der im Angriff begriffenen Staaten.
Wenn die Vereinigung der Streitkräfte Umwege und Zeitverlust verursacht und die Gefahr beim getrennten Vordringen nicht zu groß ist, so kann dasselbe dadurch gerechtfertigt sein; denn eine nicht notwendige Vereinigung der Kräfte mit großem Zeitverlust zu bewerkstelligen und dem ersten Stoß dadurch seine Frische und Schnellkraft zu benehmen, wäre gegen den zweiten von uns aufgestellten Hauptgrundsatz. In allen Fällen, wo man Aussicht hat, den Feind einigermaßen zu überraschen, wird dies eine besondere Rücksicht verdienen.
Aber wichtiger ist noch der Fall, wenn der Angriff von verbündeten Staaten unternommen wird, die gegen den angegriffenen Staat nicht auf einer Linie, nicht hinter, sondern nebeneinander liegen. Wenn Preußen und Österreich den Krieg gegen Frankreich unternehmen, so wäre es eine sehr gezwungene, Zeit und Kräfte verschwendende Maßregel, wenn die Heere beider Mächte von einem Punkte aus vorgehen wollten, da die natürliche Richtungslinie der Preußen vom Niederrhein und der Österreicher vom Oberrhein auf das Herz von Frankreich geht. Die Vereinigung könnte also hier nicht ohne Aufopferung erreicht werden, und es fragt sich also in dem einzelnen Fall, ob sie so notwendig ist, diese Opfer bringen zu müssen.
2. Das getrennte Vorgehen kann größere Erfolge darbieten.
Da hier von dem getrennten Vorgehen gegen einen Schwerpunkt die Rede ist, so setzt das ein konzentrisches Vorgehen voraus. Ein getrenntes Vorgehen auf parallelen oder exzentrischen Linien gehört in die Rubrik der Nebenunternehmungen, wovon wir schon gesprochen haben.
Nun hat jeder konzentrische Angriff in der Strategie wie in der Taktik die Tendenz der größeren Erfolge; denn wenn er gelingt, so ist nicht ein einfaches Werfen, sondern mehr oder weniger ein Abschneiden der feindlichen Armeen die Folge davon. Der konzentrische Angriff ist also immer der erfolgreichere, aber wegen der getrennten Teile und des vergrößerten Kriegstheaters auch der gewagtere; es verhält sich damit wie mit Angriff und Verteidigung, die schwächere Form hat den größten Erfolg für sich.
Es kommt also darauf an, ob sich der Angreifende stark genug fühlt, nach diesem großen Ziel zu streben.
Als Friedrich der Große im Jahr 1757 in Böhmen vordringen wollte, tat er es mit getrennter Macht von Sachsen und Schlesien aus. Die beiden Hauptgründe dazu waren: daß seine Macht sich im Winter so aufgestellt fand und ein Zusammenziehen derselben auf einen Punkt dem Stoß die Überraschung benommen haben würde; nächst dem aber, daß durch dieses konzentrische Vordringen jedes der beiden österreichischen Kriegstheater in seiner Flanke und im Rücken bedroht war. Die Gefahr, welcher sich Friedrich der Große dabei aussetzte, war, daß eine seiner beiden Armeen von überlegener Macht zugrunde gerichtet würde; verstanden die Österreicher das nicht, so konnten sie die Schlacht entweder nur im Zentro annehmen, oder sie waren in Gefahr, auf der einen oder anderen Seite ganz aus ihrer Rückzugslinie hinausgeworfen zu werden und eine Katastrophe zu erleben; und dies war der erhöhte Erfolg, welchen dieses Vordringen dem Könige versprach. Die Österreicher zogen die Schlacht im Zentro vor, aber Prag, wo sie sich aufstellten, lag noch zu sehr im Einfluß des umfassenden Angriffs, der, weil sie sich ganz leidend verheilten, Zeit hatte, in seine letzte Wirksamkeit auszulaufen. Die Folge war, als sie die Schlacht verloren hatten, eine wahre Katastrophe; denn daß zwei Drittel der Armee mit dem kommandierenden General sich in Prag einschließen lassen mußten, kann wohl dafür gelten.
Dieser glänzende Erfolg bei Eröffnung des Feldzuges lag in dem Wagstück des konzentrischen Angriffs. Wenn Friedrich die Präzision seiner eigenen Bewegungen, die Energie seiner Generale, die moralische Überlegenheit seiner Truppen auf der einen Seite und die Schwerfälligkeit der Österreicher auf der anderen für hinreichend hielt, um seinem Plan Erfolg zu versprechen, wer konnte ihn tadeln! Aber diese moralischen Größen dürfen nicht aus dem Kalkül weggelassen und der einfachen geometrischen Form des Angriffs schlechtweg die Ursache zugeschrieben werden. Man denke nur an den nicht weniger glänzenden Feldzug Bonapartes im Jahr 1796, wo die Überreicher für ein konzentrisches Vordringen in Italien so auffallend bestraft wurden. Die Mittel, welche dem französischen General hier zu Gebot standen, hätten mit Ausschluß der moralischen auch dem österreichischen Feldherrn im Jahr 1757 zu Gebot gestanden, und zwar mehr als das, denn er war nicht, wie Bonaparte, schwächer als sein Gegner. Wo man also befürchten muß, dem Gegner durch ein getrenntes konzentrisches Vordringen die Möglichkeit zu verschaffen, vermittelst der inneren Linien die Ungleichheit der Streitkräfte aufzuheben, da ist es nicht zu raten, und wenn es der Lage der Streitkräfte wegen stattfinden muß, als ein notwendiges Übel zu betrachten.
Wenn wir von diesem Gesichtspunkt aus einen Blick auf den Plan werfen, welcher im Jahr 1814 für das Eindringen in Frankreich gemacht wurde, so können wir ihn unmöglich billigen. Die russische, österreichische und preußische Armee befanden sich auf einem Punkt bei Frankfurt am Main in der natürlichsten und geradesten Richtung gegen den Schwerpunkt der französischen Monarchie. Man trennte sie, um mit einer Armee von Mainz her, mit der anderen durch die Schweiz in Frankreich einzudringen. Da der Feind so schwach an Kräften war, daß an eine Verteidigung der Grenze nicht gedacht werden konnte, so war der ganze Vorteil, welchen man von diesem konzentrischen Vordringen zu erwarten hatte, wenn es gelang, daß, indem man mit der einen Armee Lothringen und den Elsaß eroberte, mit der anderen die Franche-Comté genommen wurde. War dieser kleine Vorteil der Mühe wert, nach der Schweiz zu marschieren? - Wir wissen wohl, daß noch andere, übrigens ebenso schlechte Gründe für diesen Marsch entschieden haben; wir bleiben aber hier bei diesem Element stehen, wovon wir gerade handeln.
Von der anderen Seite war Bonaparte der Mann, der die Verteidigung gegen einen konzentrischen Angriff sehr wohl verstand, wie sein meisterhafter Feldzug von 1796 gezeigt hatte, und wenn man ihm sehr an der Zahl überlegen war, so räumte man doch bei jeder Gelegenheit ein, wie sehr er es moralisch sei. Er kam zu spät bei seiner Armee nach Châlons an und dachte überhaupt zu geringschätzig von seinen Gegnern, und doch fehlte wenig daran, daß er die beiden Armeen unvereinigt getroffen hätte; und wie fand er sie bei Brienne dennoch geschwächt? Blücher hatte von seinen 65000 Mann noch 27000 unter den Händen und die Hauptarmee von 200000 Mann noch 100000. Es war unmöglich, dem Gegner ein besseres Spiel zu geben. Auch fühlte man von dem Augenblick an, wo man zum Handeln schritt, kein sehnlicheres Bedürfnis als die Wiedervereinigung.
Wir glauben nach allen diesen Betrachtungen, daß, wenn der konzentrische Angriff auch an sich das Mittel zu größeren Erfolgen ist, er doch hauptsächlich nur aus der ursprünglichen Verteilung der Streitkräfte hervorgehen soll, und daß es wenig Fälle geben wird, wo man recht hat, um seinetwillen die kürzeste und einfachste Richtung der Kräfte zu verlassen.
3. Die Ausbreitung eines Kriegstheaters kann ein Grund zum getrennten Vorgehen sein.
Wenn eine angreifende Armee von einem Punkt aus vorgeht und mit Erfolg weiter in das feindliche Land eindringt, so wird zwar der Raum, welchen sie beherrscht, nicht genau auf die Wege, die sie zieht, beschränkt bleiben, sondern sich etwas erweitern, doch wird dies von der Dichtigkeit und Kohäsion des feindlichen Staates abhängen, wenn wir uns dieses Bildes bedienen dürfen. Hängt der feindliche Staat nur locker zusammen, ist sein Volk weichlich und des Krieges entwöhnt, so wird, ohne daß wir viel dazu tun, sich hinter unserem siegreichen Heer ein weiter Landstrich öffnen; haben wir es aber mit einem tapferen und treuen Volk zu tun, so wird der Raum hinter unserem Heere mehr oder weniger ein schmales Dreieck sein.
Um nun diesem Übel vorzubeugen, hat der Vorgehende das Bedürfnis, sein Vordringen in einer gewissen Breite anzuordnen. Ist die feindliche Macht auf einem Punkt vereinigt, so kann diese Breite nur so lange beibehalten werden, als wir nicht im Kontakt mit ihr sind, und muß sich zu ihrem Aufstellungspunkt hin verengen; das ist an sich verständlich.
Aber wenn der Feind sich selbst in einer gewissen Breite aufgestellt hat, so würde eine ebenmäßige Verteilung unserer Streitkräfte an sich nichts Widersinniges haben. Wir sprechen hier von einem Kriegstheater, oder von mehreren, die aber nahe beieinander liegen. Offenbar ist also dies da der Fall, wo nach unserer Ansicht die Hauptunternehmung über die Nebenpunkte mitentscheiden soll.
Kann man es nun immer darauf ankommen lassen, und darf man sich der Gefahr aussetzen, welche entsteht, wenn der Einfluß des Hauptpunktes auf die Nebenpunkte nicht groß genug ist? Verdient das Bedürfnis einer gewissen Breite des Kriegstheaters nicht eine besondere Rücksicht?
Hier wie überall ist es unmöglich, die Zahl der Kombinationen zu erschöpfen, die stattfinden können; aber wir behaupten, daß mit wenig Ausnahmen die Entscheidung auf dem Hauptpunkte die Nebenpunkte mittreffen werde. Nach diesem Grundsatz ist also die Handlung in allen Fällen einzurichten, wo nicht das Gegenteil offenbar ist.
Als Bonaparte in Rußland eindrang, durfte er mit Recht glauben, die Streitkräfte der Russen an der oberen Düna durch die Überwältigung der Hauptmacht mitfortreißen zu können. Er ließ anfangs nur das Korps von Oudinot gegen sie stehen, allein Wittgenstein ging zum Angriff über, und Bonaparte war genötigt, auch noch das sechste Korps dahin zu schicken.
Dagegen hatte er von Hause aus einen Teil seiner Streitkräfte gegen Bagration gerichtet; dieser aber wurde von der rückgängigen Bewegung der Mitte mit fortgerissen, und Bonaparte konnte diese Streitkräfte wieder an sich ziehen. Hätte Wittgenstein nicht die zweite Hauptstadt zu decken gehabt, so würde auch er Barclay gefolgt sein.
In den Jahren 1805 und 1809 hatte Bonaparte bei Ulm und Regensburg über Italien und Tirol mitentschieden, obgleich das erstere doch ein ziemlich entlegenes, für sich bestehendes Kriegstheater war. Im Jahr 1806 hat er bei Jena und Auerstedt über alles entschieden, was in Westfalen, Hessen und auf der Frankfurter Straße gegen ihn geschehen konnte.
Unter der Menge von Umständen, welche auf den Widerstand der Seitenteile Einfluß haben können, treten hauptsächlich zwei hervor.
Der erste ist: wenn man, wie in Rußland, einem Lande von großen Dimensionen und verhältnismäßig auch großen Kräften, den entscheidenden Schlag im Hauptpunkte lange verzögern kann und nicht genötigt ist, dort alles in der Eile zusammenzuraffen.
Der zweite: wenn, wie im Jahr 1806 Schlesien, ein Seitenpunkt durch eine Masse von Festungen ungewöhnliche Selbständigkeit bekommt. Und doch hat Bonaparte diesen Punkt mit großer Geringschätzung behandelt, indem er, ob er in gleich bei seinem Marsch auf Warschau hinter sich lassen mußte, doch nur 20000 Mann unter seinem Bruder Jérôme dahin anrücken ließ.
Hat sich nun in einem vorliegenden Falle ergeben, daß der Schlag auf den Hauptpunkt die Seitenpunkte höchstwahrscheinlich nicht erschüttern wird oder wirklich nicht erschüttert hat, so liegt doch darin, daß der Feind auf diesen Punkten wirklich Streitkräfte aufgestellt hat, und diesen werden dann als ein notwendiges Übel andere, angemessenere entgegengestellt werden müssen, weil man seine Verbindungslinie nicht von Hause aus absolut preisgeben kann.
Die Vorsicht aber kann noch einen Schritt weiter gehen; sie kann fordern, daß das Vorschreiten gegen den Hauptpunkt mit dem Vorschreiten auf Nebenpunkten genau Schritt halte, und daß folglich jedesmal mit dem Hauptunternehmen innegehalten werde, wenn die Nebenpunkte des Feindes nicht weichen wollen.
Dieser Grundsatz würde dem unserigen, alles in eine Haupthandlung soviel als möglich zu vereinigen, zwar nicht geradezu widersprechen, allein der Geist, aus welchem er entspringt, ist dem Geist, in welchem der unserige gedacht ist, vollkommen entgegen. Aus diesem Grundsatz würde ein solches Abmessen der Bewegung, ein solches Lähmen der Stoßkraft, ein solches Spiel von Zufällen, ein solcher Zeitverlust entstehen, daß er sich mit einer Offensive, die auf die Niederwerfung des Gegners gerichtet ist, praktisch durchaus nicht verträgt.
Die Schwierigkeit wird noch größer, wenn die Kräfte dieser Nebenpunkte sich exzentrisch zurückziehen können - was würde da aus der Einheit unseres Stoßes werden?
Wir müssen uns also gegen die Abhängigkeit des Hauptangriffs von den Nebenpunkten als Grundsatz durchaus erklären und behaupten: daß ein auf das Niederwerfen des Gegners gerichteter Angriff, der nicht die Kühnheit hat, wie eine Pfeilspitze gegen das Herz des feindlichen Staates hinzuschießen, sein Ziel nicht erreichen kann.
4. Endlich liegt noch in der Erleichterung des Unterhaltes ein vierter Grund zum getrennten Vorgehen.
Es ist freilich viel angenehmer, mit einer kleinen Armee durch eine wohlhabende Provinz zu ziehen als mit einer großen durch eine arme; aber bei zweckmäßigen Maßregeln und einem an Entbehrung gewöhnten Heere ist das letztere nicht unmöglich, und es sollte also das erstere niemals so viel Einfluß auf unsere Entschlüsse haben, um uns einer großen Gefahr auszusetzen.
Wir haben nun hiermit den Gründen zur Trennung der Kräfte, wodurch die eine Haupthandlung in mehrere zerlegt wird, ihr Recht eingeräumt und werden nicht zu tadeln wagen, wenn die Trennung nach einem dieser Gründe mit deutlichem Bewußtsein des Zweckes und sorgfältiger Abwägung der Vorteile und Nachteile geschieht.
Wenn aber, wie es gewöhnlich geschieht, von einem gelehrten Generalstabe der Plan bloß aus der Gewohnheit so gemacht wird, wenn die verschiedenen Kriegstheater wie die Felder im Schachspiel, jedes mit seinem Teil, vorher besetzt werden müssen, ehe die Züge anfangen, wenn diese Züge mit einer eingebildeten Kombinationsweisheit in verwickelten Linien und Verhältnissen sich dem Ziele nähern, wenn die Heere sich heute trennen müssen, um ihre ganze Kunst darin bestehen zu lassen, sich in vierzehn Tagen mit größter Gefahr wieder zu vereinigen - dann haben wir ein Greuel an diesem Verlassen des geraden, einfachen, schlichten Weges, um sich absichtlich in lauter Verwirrung zu stürzen. Diese Torheit tritt um so leichter ein, je weniger es der oberste Feldherr ist, der den Krieg leitet und ihn in dem Sinne, wie wir im ersten Kapitel angedeutet haben, als eine einfache Handlung seines mit ungeheuren Kräften ausgerüsteten Individuums führt, je mehr also der ganze Plan in der Fabrik eines unpraktischen Generalstabes entstanden und aus den Ideen von einem Dutzend Halbwisser hervorgegangen ist. -
Wir haben nun noch den dritten Teil unseres ersten Grundsatzes zu bedenken: nämlich die untergeordneten Teile so untergeordnet als möglich zu halten.
Indem man den ganzen kriegerischen Akt auf ein einfaches Ziel zurückzuführen strebt und dieses soviel als möglich durch eine große Handlung zu erreichen sucht, beraubt man die übrigen Berührungspunkte der gegenseitigen Kriegsstaaten eines Teiles ihrer Selbständigkeit; sie werden untergeordnete Handlungen. Könnte man alles absolut in eine einzige zusammendrängen, so würden jene Berührungspunkte ganz neutralisiert werden; das ist aber selten möglich, und es kommt also darauf an, sie so in Schranken zu halten, daß sie der Hauptsache nicht zu viel Kräfte entziehen.
Wir fangen damit an, zu sagen, daß der Kriegsplan diese Tendenz selbst dann haben muß, wenn es nicht möglich ist, den ganzen feindlichen Widerstand auf einen Schwerpunkt zurückzuführen, wenn man also in dem Fall ist, wie wir uns schon einmal ausgedrückt haben, zwei fast ganz verschiedene Kriege zu gleicher Zeit zu führen. Immer muß der eine als die Hauptsache angesehen werden, auf welche sich vorzugsweise die Kräfte und Tätigkeiten richten.
Bei dieser Ansicht ist es vernünftig, angriffsweise nur nach dieser einen Hauptseite hinzugehen, auf der anderen aber verteidigend zu bleiben. Nur wo ungewöhnliche Umstände zu einem Angriff einladen, würde er zu rechtfertigen sein.
Ferner wird man diese Verteidigung, welche auf den untergeordneten Punkten stattfindet, mit so wenigen Kräften als möglich zu führen und sich aller Vorteile zu bedienen suchen, welche diese Widerstandsform zu gewähren vermag.
Noch viel mehr wird diese Ansicht bei allen Kriegstheatern gelten, auf welchen zwar auch Heere verschiedener Mächte auftreten, aber doch solche, die in dem allgemeinen Schwerpunkte mitgetroffen werden.
Gegen den Feind aber, welchem der Hauptstoß gilt, kann es hiernach auf Nebenkriegstheatern keine Verteidigung mehr geben. Der Hauptangriff selbst und die durch andere Rücksichten herbeigeführten untergeordneten Angriffe machen diesen Stoß aus und machen jede Verteidigung von Punkten, welche durch sie nicht unmittelbar gedeckt werden, überflüssig. Auf die Hauptentscheidung kommt es an, in ihr wird jeder Verlust eingebracht. Reichen die Kräfte hin, eine solche Hauptentscheidung vernünftigerweise zu suchen, so kann die Möglichkeit des Fehlschlagens nicht mehr als ein Grund gebraucht werden, sich in jedem Fall auf anderen Punkten für Schaden zu hüten; denn dieses Fehlschlagen wird eben dadurch viel wahrscheinlicher, und es ist also in unserer Handlung ein Widerspruch entstanden.
Aber dieses Vorherrschen der Haupthandlung über die untergeordneten soll auch selbst bei den einzelnen Gliedern des ganzen Angriffs stattfinden. Da sich aber meist aus anderweitigen Gründen bestimmt, welche Kräfte von dem einen Kriegstheater, und welche von dem anderen gegen den gemeinschaftlichen Schwerpunkt vordringen sollen, so kann hier nur gemeint sein, daß ein Bestreben da sein muß, die Haupthandlung vorwalten zu lassen, und daß alles einfacher und weniger Zufällen unterworfen sein wird, je mehr dieses Vorwalten erreicht werden kann.
Der zweite Grundsatz betrifft den schnellen Gebrauch der Streitkräfte.
Jeder unnütze Zeitaufwand, jeder unnütze Umweg ist eine Verschwendung der Kräfte und also der Strategie ein Greuel.
Aber wichtiger ist die Erinnerung, daß der Angriff überhaupt fast seinen einzigen Vorzug in der Überraschung besitzt, womit die Eröffnung der Szene wirken kann. Das Plötzliche und Unaufhaltsame sind seine stärksten Schwingen, und wo es auf die Niederwerfung des Gegners ankommt, kann er dieser selten entbehren.
Hiermit fordert die Theorie also die kürzesten Wege zum Ziel und schließt die zahllosen Diskussionen über rechts und links, hierhin oder dorthin von der Betrachtung ganz aus.
Wenn wir an das erinnern, was wir in dem Kapitel von dem Gegenstand des strategischen Angriffs über die Herzgrube der Staaten gesagt haben, ferner an das, was im vierten Kapitel dieses Buches über den Einfluß der Zeit vorkommt, so glauben wir, bedarf es keiner weiteren Entwicklungen, um zu zeigen, daß jenem Grundsatz der Einfluß wirklich gebühre, welchen wir für ihn fordern.
Bonaparte hat niemals anders gehandelt. Die nächste Hauptstraße von Heer zu Heer oder von Hauptstadt zu Hauptstadt war ihm immer der liebste Weg.
Und worin wird nun die Haupthandlung, auf welche wir alles zurückgeführt, und für welche wir eine rasche und unumwundene Vollziehung gefordert haben, bestehen?
Was die Niederwerfung des Feindes sei, haben wir, soviel es sich im allgemeinen tun läßt, im vierten Kapitel gesagt, und es wäre unnütz, es zu wiederholen. Worauf es nun auch dabei im einzelnen Fall am Ende ankommen mag, so ist doch der Anfang dazu überall derselbe: die Vernichtung der feindlichen Streitkraft, d. h. ein großer Sieg über dieselbe und ihre Zetrümmerung. Je früher, d. h. je näher an unseren Grenzen dieser Sieg gesucht wird, um so leichter ist er; je später, d. h. je tiefer im feindlichen Lande er erfochten wird, um so entscheidender ist er. Hier wie überall halten sich die Leichtigkeit des Erfolges und die Größe desselben das Gleichgewicht. Sind wir also der feindlichen Streitkraft nicht so überlegen, daß der Sieg unzweifelhaft ist, so müssen wir sie, d. h. ihre Hauptmacht, womöglich aufsuchen. Wir sagen womöglich, denn wenn dieses Aufsuchen zu großen Umwegen, falschen Richtungen und Zeitverlust für uns führte, so könnte es leicht ein Fehler werden. Findet sich die feindliche Hauptmacht nicht auf unserem Wege, und können wir, weil es sonst gegen unser Interesse ist, sie nicht aufsuchen, so dürfen wir sicher sein, sie später zu finden, denn sie wird nicht säumen, sich uns entgegenzuwerfen. Wir werden dann, wie wir eben gesagt haben, unter weniger vorteilhaften Umständen schlagen: ein Übel, dem wir uns unterziehen müssen. Gewinnen wir die Schlacht dennoch, so wird sie um so entscheidender sein.
Hieraus folgt, daß in dem angenommenen Fall ein absichtliches Vorbeigehen der feindlichen Hauptmacht, wenn sie sich schon auf unserem Wege befindet, ein Fehler sein würde, wenigstens insofern man dabei eine Erleichterung des Sieges beabsichtigte.
Dagegen folgt aus dem Obigen, daß man bei einer sehr entschiedenen Überlegenheit der feindlichen Hauptmacht absichtlich vorbeigehen könne, um späterhin eine entscheidendere Schlacht zu liefern.
Wir haben von einem vollständigen Siege, also von einer Niederlage des Feindes, und nicht von einer bloßen gewonnenen Schlacht gesprochen. Zu einem solchen Siege aber gehört ein umfassender Angriff oder eine Schlacht mit verwandter Fronte, denn beide geben dem Ausgang jedesmal einen entscheidenden Charakter. Es gehört also zum Wesentlichen des Kriegsplanes, daß wir uns darauf einrichten, sowohl was die Masse der Streitkräfte betrifft, die nötig, als die Richtungen, welche ihnen zu geben sind, wovon das Weitere im Kapitel von dem Feldzugsplan gesagt werden soll.
Daß auch Schlachten mit gerader Fronte zu vollkommenen Niederlagen führen, ist zwar nicht unmöglich, und es fehlt nicht an Beispielen in der Kriegsgeschichte, allein der Fall ist seltener und wird immer seltener, je mehr die Heere sich an Ausbildung und an Gewandtheit ähnlicher werden. Jetzt macht man nicht mehr wie bei Blenheim einundzwanzig Bataillone in einem Dorfe gefangen.
Ist nun der große Sieg erfochten, so soll von keiner Rast, von keinem Atemholen, von keinem Besinnen, von keinem Feststellen usw. die Rede sein, sondern nur von der Verfolgung, von neuen Stößen, wo sie nötig sind, von der Einnahme der feindlichen Hauptstadt, von dem Angriff der feindlichen Hilfsheere, oder was sonst als der Unterstützungspunkt des feindlichen Staates erscheint.
Führt uns der Strom des Sieges an feindlichen Festungen vorbei, so hängt es von unserer Stärke ab, ob sie belagert werden sollen oder nicht. Bei großer Überlegenheit wäre es ein Zeitverlust, sich ihrer nicht so früh als möglich zu bemächtigen; sind wir aber des ferneren Erfolges an der Spitze nicht sicher, so müssen wir uns vor den Festungen mit so wenigem als möglich behelfen, und das schließt die gründliche Belagerung derselben aus. Von dem Augenblick an, wo die Belagerung der Festungen uns zwingt, mit dem Vorschreiten des Angriffs innezuhalten, hat dieser in der Regel seinen Kulminationspunkt erreicht. Wir fordern also ein schnelles, rastloses Vordringen und Nachdringen der Hauptmacht; wir haben es schon verworfen, daß dieses Vorschreiten auf dem Hauptpunkte sich nach dem Erfolg auf den Nebenpunkten richte; die Folge wird also sein, daß in allen gewöhnlichen Fällen unser Hauptheer nur einen schmalen Landstrich hinter sie behält, welchen es sein nennen kann, und der also sein Kriegstheater ausmacht. Die Art, wie dies die Stoßkraft an der Spitze schwächt, die Gefahren, welche dem Angreifenden daraus erwachsen, haben wir früher gezeigt. Wird diese Schwierigkeit, wird dieses innere Gegengewicht nicht einen Punkt erreichen können, der das weitere Vordringen hemmt? Allerdings kann das sein. Aber so wie wir oben behauptet haben, daß es ein Fehler wäre, von Hause aus dieses verengte Kriegstheater vermeiden zu wollen und um dieses Zweckes willen dem Angriff seine Schnellkraft zu benehmen, so behaupten wir auch jetzt: solange der Feldherr seinen Gegner noch nicht niedergeworfen hat, solange er glaubt, stark genug zu sein, um das Ziel zu gewinnen, solange muß er es verfolgen. Er tut es vielleicht mit steigender Gefahr, aber auch mit steigender Größe des Erfolges. Kommt ein Punkt, wo er es nicht wagt, weiterzugehen, wo er glaubt, für seinen Rücken sorgen zu müssen, sich rechts und links auszubreiten - wohlan, es ist höchst wahrscheinlich sein Kulminationspunkt. Die Flugkraft ist dann zu Ende, und wenn der Gegner nicht niedergeworfen ist, so wird höchstwahrscheinlich nichts daraus werden.
Alles, was er zur intensiven Ausbildung seines Angriffs mit Eroberung von Festungen, Pässen, Provinzen tut, ist zwar noch ein langsames Vorschreiten, aber nur ein relatives, kein absolutes mehr. Der Feind ist nicht mehr auf der Flucht, er rüstet sich vielleicht schon zu erneuertem Widerstand, und es ist also schon möglich, daß, obgleich der Angreifende noch intensiv vorwärtsschreitet, der Verteidiger, indem er es auch tut, schon täglich etwas über ihn gewinnt. Kurz, wir kommen darauf zurück: es gibt in der Regel nach einem notwendigen Halt keinen zweiten Anlauf.
Die Theorie fordert also nur, daß, solange die Idee besteht, den Feind niederzuwerfen, rastlos gegen ihn vorgeschritten werde; gibt der Feldherr dieses Ziel auf, weil er die Gefahr dabei zu groß findet, so tut er recht, innezuhalten und sich auszubreiten. Die Theorie tadelt dies nur, wenn er es tut, um dadurch zum Niederwerfen des Gegners geschickter zu werden.
Wir sind nicht so töricht, zu behaupten, daß es kein Beispiel von Staaten gäbe, die nach und nach aufs äußerste gebracht worden wären. Erstlich ist der von uns aufgestellte Satz keine absolute Wahrheit, von der eine Ausnahme unmöglich wäre, sondern er gründet sich nur auf den wahrscheinlichen und gewöhnlichen Erfolg; sodann muß man unterscheiden, ob der Untergang eines Staates nach und nach sich historisch zugetragen hat, oder ob er gleich das Ziel des ersten Feldzuges gewesen war. Nur von diesem Fall sprechen wir hier, denn nur in ihm findet jene Spannung der Kräfte statt, die den Schwerpunkt der Last entweder überwältigt oder in Gefahr ist, von ihm überwältigt zu werden. Wenn man sich im ersten Jahre einen mäßigen Vorteil verschafft, zu diesem im folgenden einen anderen hinzufügt und so nach und nach langsam gegen das Ziel vorschreitet, so findet sich nirgends eine eminente Gefahr, aber dafür ist sie auf viele Punkte verteilt. Jeder Zwischenraum von einem Erfolg zum anderen gibt dem Feinde neue Aussichten; die Wirkungen des früheren Erfolges haben auf den späteren einen sehr geringen Einfluß, oft keinen, oft einen negativen, weil der Feind sich erholt oder gar zu größerem Widerstand entflammt wird oder neue Hilfe von außen bekommt, während da, wo alles in einem Zuge geschieht, der gestrige Erfolg den heutigen mit sich fortreißt, der Brand am Brande sich entzündet. Wenn es Staaten gibt, die durch sukzessive Stöße überwältigt worden sind, und wo sich also die Zeit dem Verteidiger, dessen Schutzheiliger sie ist, verderblich gezeigt hat, - wie unendlich viel zahlreicher sind die Beispiele, wo die Absicht des Angreifenden darüber ganz verfehlt worden ist. Man denke nur an den Erfolg des Siebenjährigen Krieges, wo die Österreicher das Ziel mit soviel Gemächlichkeit, Behutsamkeit und Vorsicht zu erreichen suchten, daß sie es ganz verfehlten.
Bei dieser Ansicht können wir also gar nicht der Meinung sein, daß die Sorge für ein gehörig eingerichtetes Kriegstheater dem Trieb nach vorwärts immer zur Seite stehen und ihm gewissermaßen das Gleichgewicht halten müsse, sondern wir sehen die Nachteile, die daraus erwachsen, als ein unvermeidliches Übel an, welches erst dann Rücksicht verdient, wenn uns nach vornhin keine Hoffnung mehr bleibt.
Bonapartes Beispiel vom Jahre 1812, weit entfernt, uns von unserer Behauptung zurückzuschrecken, hat uns vielmehr darin bestärkt.
Sein Feldzug ist nicht mißraten, weil er zu schnell und zu weit vorgedrungen ist, wie die gewöhnliche Meinung geht, sondern weil die einzelnen Mittel zum Erfolg fehlschlugen. Das russische Reich ist kein Land, was man förmlich erobern, d. h. besetzt halten kann, wenigstens nicht mit den Kräften jetziger europäischer Staaten, und auch nicht mit den 500000 Mann, die Bonaparte dazu anführte. Ein solches Land kann nur bezwungen werden durch eigene Schwäche und durch die Wirkungen des inneren Zwiespaltes. Um auf diese schwachen Stellen des politischen Daseins zu stoßen, ist eine bis ins Herz des Staates gehender Erschütterung notwendig. Nur wenn Bonaparte mit seinem kräftigen Stoß bis Moskau hinreichte, durfte er hoffen, den Mut der Regierung und die Treue und Standhaftigkeit des Volkes zu erschüttern. In Moskau hoffte er den Frieden zu finden, und dies war das einzige vernünftige Ziel, welches er sich bei diesem Kriege stecken konnte.
Er führte also seine Hauptmacht gegen die Hauptmacht der Russen, die vor ihm zurück über das Lager von Drissa hinstolperte und erst bei Smolensk zum Stehen kam. Er riß Bagration mit fort, schlug beide und nahm Moskau ein. Er handelte hier, wie er immer gehandelt hatte; nur auf diese Weise war er der Gebieter Europas geworden, und nur auf diese Weise hatte er es werden können.
Wer also Bonaparte in allen seinen früheren Feldzügen als den größten Feldherrn bewundert, der soll sich in diesem nicht über ihn erheben.
Es ist erlaubt, eine Begebenheit nach dem Erfolg zu beurteilen, weil dieser die beste Kritik davon ist (siehe fünftes Kapitel des zweiten Buches), aber dieses bloß aus dem Erfolg gezogene Urteil muß man dann nicht mit menschlicher Weisheit nachweisen wollen. Die Ursachen eines verunglückten Feldzuges aufsuchen, heißt noch nicht, eine Kritik desselben machen; nur wenn man beweist, daß diese Ursachen nicht hätten übersehen oder unbeachtet bleiben sollen, macht man die Kritik und erhebt sich über den Feldherrn.
Nun behaupten wird, daß, wer in dem Feldzug von 1812 bloß wegen seines ungeheuren Rückschlages eine Absurdität findet, während er beim glücklichen Erfolg darin die erhabensten Kombinationen gesehen hätte, eine völlige Unfähigkeit des Urteils zeigt.
Wäre Bonaparte in Litauen stehengeblieben, wie die meisten Kritiker gewollt haben, um sich erst der Festungen zu versichern, deren es übrigens außer dem völlig seitwärts gelegenen Riga kaum eine gab, weil Bobruisk ein kleines, unbedeutendes Nest ist, so würde er sich für den Winter in ein trauriges Verteidigungssystem verwickelt haben; dann würden dieselben Leute die ersten gewesen sein, welche ausgerufen hätten: das ist nicht mehr der alte Bonaparte! Wie, nicht einmal zu einer ersten Hauptschlacht hat er es getrieben, er, der seine Eroberungen durch die Siege von Austerlitz und Friedland an den letzten Mauern der feindlichen Staaten zu besiegeln pflegte? Die feindliche Hauptstadt, das entblößte, zum Fall bereite Moskau hat er zu nehmen zaghaft versäumt und dadurch den Kern bestehen lassen, um den sich neuer Widerstand sammeln konnte? Er hat das unerhörte Glück, diesen entfernten, ungeheuren Koloß zu überfallen, wie man eine benachbarte Stadt, oder wie Friedrich der Große das kleine, nahe Schlesien überfällt, und er benutzt diesen Vorteil nicht, hält mitten im Siegeslauf inne, als wenn sich ein böser Geist an seine Fersen gelegt hätte? - So würden die Leute geurteilt haben, denn so sind die Urteile der meisten Kritiker beschaffen.
Wir sagen: der Feldzug von 1812 ist nicht gelungen, weil die feindliche Regierung fest, das Volk treu und standhaft blieb, weil er also nicht gelingen konnte. Es mag ein Fehler Bonapartes sein, ihn unternommen zu haben, wenigstens hat der Erfolg gezeigt, daß er sich in seinem Kalkül betrogen hat, aber wir behaupten, daß, wenn dieses Ziel gesucht werden sollte, es der Hauptsache nach nicht anders zu erreichen war.
Anstatt sich im Osten einen endlosen, kostbaren Verteidigungskrieg aufzuladen, wie er ihn schon im Westen zu führen hatte, versuchte Bonaparte das einzige Mittel zum Zweck: mit einem kühnen Schlag dem bestürzten Gegner den Frieden abzugewinnen. Daß seine Armee dabei zugrunde ging, war die Gefahr, welcher er sich dabei unterzog, es war der Einsatz im Spiel, der Preis der großen Hoffnung. Ist dieser Zerstörung seiner Streitkräfte durch seine Schuld größer geworden, als nötig gewesen wäre, so ist diese Schuld nicht in das weite Vordringen zu setzen, denn dies war Zweck und unvermeidlich, sondern in die späte Eröffnung des Feldzuges, in die Menschenverschwendung seiner Taktik, in den Mangel an Sorgfalt für den Unterhalt des Heeres und für die Einrichtung der Rückzugsstraße, endlich in den etwas verspäteten Abmarsch von Moskau.
Daß sich ihm die russischen Armeen an der Beresina vorlegen konnten, um ihm förmlich den Rückzug zu verwehren, ist kein starkes Argument gegen uns. Denn: erstlich hat gerade dies gezeigt, wie schwer das wirkliche Abschneiden zu bewirken ist, da sich der Abgeschnittene unter den ungünstigsten denkbaren Umständen am Ende den Weg noch gebahnt hat, und dieser ganze Akt zur Vergrößerung seiner Katastrophe zwar beigetragen hat, aber sie doch nicht wesentlich ausmachte. Zweitens bot nur die seltene Beschaffenheit der Gegend die Mittel dar, es so weit zu treiben, und ohne die der großen Straße sich quervorlegenden Sümpfe der Beresina mit ihren waldreichen, unzugänglichen Rändern wäre ein Abschneiden noch weniger möglich gewesen. Drittens gibt es überhaupt kein Mittel, sich gegen eine solche Möglichkeit anders zu sichern, als indem man seine Macht in einer gewissen Breite vorführt, welches wir schon früher verworfen haben; denn ist man einmal darauf eingegangen, in der Mitte vorzudringen und sich die Seiten durch Heere zu decken, die man rechts und links zurückläßt, so müßte man bei jedem möglichen Unfall eines solchen Heeres mit der Spitze gleich zurückeilen, und dann könnte wohl aus dem Angriff nicht viel werden.
Man kann gar nicht sagen, daß Bonaparte seine Seiten vernachlässigt habe. Gegen Wittgenstein blieb eine überlegene Macht stehen: vor Riga stand ein angemessenes Belagerungskorps, welches sogar dort überflüssig war, und im Süden hatte Schwarzenberg 50000 Mann, womit er Tormassow überlegen und selbst Tschitschagow beinahe gewachsen war; dazu kamen noch 30000 Mann unter Victor im Mittelpunkt des Rückens. - Selbst im Monat November, also im entscheidenden Augenblick, als sich die russischen Streitkräfte verstärkt hatten und die französischen schon sehr geschwächt waren, war die Überlegenheit der Russen im Rücken der Moskauer Armee noch nicht so außerordentlich. Wittgenstein, Tschitschagow und Sacken bildeten zusammen eine Macht von 110000 Mann. Schwarzenberg, Reynier, Victor, Oudinot und St.-Cyr waren effektiv noch 80000 Mann. Der behutsamste General würde beim Vorgehen seinen Flanken kaum eine größere Streitkraft widmen.
Hätte Bonaparte von den 600000 Mann, die im Jahr 1812 den Njemen überschritten haben, statt 50000, die mit Schwarzenberg, Reynier und Macdonald über denselben zurückgegangen sind, 250000 zurückgebracht, welches bei Vermeidung der Fehler, die wir ihm vorgeworfen haben, möglich war, so blieb es ein unglücklicher Feldzug, aber die Theorie hätte nichts dagegen einwenden können, denn über die Hälfte seines Heeres einzubüßen, ist in solchem Fall nichts Ungewöhnliches und nimmt sich für uns nur wegen des großen Maßstabes so aus.
Soviel über die Haupthandlung, ihre notwendige Tendenz und ihre unvermeidlichen Gefahren. Was die untergeordneten Handlungen betrifft, so sagen wir vor allen Dingen: es muß ein gemeinschaftliches Ziel aller da sein, aber dieses Ziel muß so gestellt werden, daß es nicht die Tätigkeiten einzelner Teile lähmt. Wenn man vom Ober- und Mittelrhein und von Holland aus gegen Frankreich vordringt, um sich bei Paris ein Rendezvous zu geben, und jede Armee nichts wagen, sondern sich soviel wie möglich intakt erhalten soll, bis diese Vereinigung erreicht ist, so nennen wir das einen verderblichen Plan. Es entsteht notwendig ein Abwägen der dreifachen Bewegung, welche Zögerung, Unentschlossenheit und Zaghaftigkeit in das Vorschreiten jedes Teiles bringt. Besser ist es, jedem Teil seine Armee für sich zuzumessen und nur die Einheit dahin zu setzen, wo diese verschiedenen Tätigkeiten von selbst zur Einheit werden.
Dieses Trennen, um sich ein paar Märsche später wieder zu vereinigen, kommt fast in allen Kriegen vor und ist doch im Grunde ganz ohne Sinn. Ist man getrennt, so muß man wissen, warum man es ist, und dieses Warum muß erfüllt werden und kann nicht in der späteren Vereinigung bestehen wie bei einer Quadrillentour.
Es soll also, wenn die Kriegsmacht zum Angriff auf getrennten Kriegstheatern vorgeht, jedem Heer seine Aufgabe für sich bestehend gegeben werden, an deren Gegenstand es seine Stoßkraft erschöpfen kann. Daß dies letztere von allen Seiten geschehe, darauf kommt es an, und nicht darauf, daß alle verhältnismäßige Vorteile erringen.
Wird einem der Heere seine Rolle zu schwer, weil der Feind eine andere Verteidigung gemacht hat, als wir glaubten, erlebt es Unglücksfälle, so muß und darf dies keinen Einfluß auf die Tätigkeit der anderen haben, oder man würde von Hause aus die Wahrscheinlichkeit des allgemeinen Erfolges gegen sich selbst wenden. Nur wenn die Mehrheit unglücklich ist oder die Hauptteile es sind, darf und muß dies Einfluß auf die anderen haben: alsdann ist nämlich der Fall eines verfehlten Planes eingetreten.
Eben diese Regel gilt für diejenigen Heere und Abteilungen, welche ursprünglich zur Verteidigung bestimmt sind und durch einen günstigen Erfolg derselben zum Angriff übergehen können, wenn es nicht vorzuziehen ist, ihre überflüssigen Streitkräfte auf den Hauptpunkt der Offensive überzuführen, welches hauptsächlich von der geographischen Lage des Kriegstheaters abhängt.
Aber was wird unter diesen Umständen aus der geometrischen Gestalt und Einheit des ganzen Angriffs, was aus Flanken und Rücken der einem geschlagenen Teile benachbarten Abteilungen?
Das ist es eben, was wir hauptsächlich bekämpfen wollen. Dieses Zusammenleimen eines großen Angriffs in ein geometrisches Viereck ist eine Verirrung in ein falsches Gedankensystem hinein.
Wir haben in dem fünfzehnten Kapitel des dritten Buches gezeigt, daß das geometrische Element in der Strategie nicht so wirksam ist als in der Taktik, und wir wollen hier nur das Resultat wiederholen, daß besonders beim Angriff die wirklichen Erfolge auf den einzelnen Punkten durchaus mehr Rücksicht verdienen als die Figur, welche aus dem Angriff nach und nach durch die Verschiedenheit der Erfolge entstehen kann.
In jedem Fall aber ist es eine ausgemachte Sache, daß bei den großen Räumen in der Strategie die Rücksichten und Entschlüsse, welche die geometrische Lage der Teile veranlassen, füglich dem Oberfeldherrn überlassen bleiben können; daß also keiner der Unterfeldherren das Recht hat, nach dem zu fragen, was sein Nachbar tut oder unterläßt, sondern angewiesen werden kann, sein Ziel unbedingt zu verfolgen. Entsteht wirklich ein starkes Mißverhältnis daraus, so kann die Abhilfe von oben her immer noch zur rechten Zeit gegeben werden. Und damit ist denn das Hauptübel dieser getrennten Wirkungsweise entfernt: daß an die Stelle realer Dinge eine Menge von Befürchtungen und Voraussetzungen sich in den Verlauf der Begebenheit mischen, daß jeder Zufall nicht bloß den Teil, den er trifft, sondern konsensualisch das Ganze affiziert, und daß persönlichen Schwächen und persönlicher Feindschaft der Unterfeldherren ein weites Feld eröffnet wird.
Wir glauben, daß man diese Ansicht nur dann paradox finden wird, wenn man noch nicht lange und ernst genug die Kriegsgeschichte im Auge gehabt, das Wichtige von dem Unwichtigen getrennt und den ganzen Einfluß der menschlichen Schwächen gewürdigt hat.
Wenn es schon in der Taktik schwer ist, den glücklichen Erfolg eines Angriffs in mehreren getrennten Kolonnen durch die genaue Zusammenstimmung aller Teile zu erhalten, wie das Urteil aller Erfahrenen einräumt, wieviel schwieriger oder vielmehr wie ganz unmöglich wird dies in der Strategie sein, wo die Trennung soviel größer ist. Sollte also das beständige Zusammenstimmen aller Teile eine notwendige Bedingung des Erfolges sein, so müßte ein solcher strategischer Angriff durchaus verworfen werden. Aber von der einen Seite hängt es nicht von unserer Willkür ab, ihn ganz zu verwerfen, weil Umstände dazu bestimmen können, über welche wir gar nicht zu gebieten haben, von der anderen ist selbst in der Taktik diese beständige Zusammenstimmung aller Teile für jeden Augenblick des Verlaufes nicht einmal nötig, und viel weniger ist sie es, wie gesagt, in der Strategie. Man muß also in dieser um so mehr davon absehen und um so mehr darauf beharren, daß jedem Teil ein selbständiges Stück Arbeit zugemessen werde.
Diesem haben wir noch eine wichtige Bemerkung anzuschließen, sie betrifft die gute Verteilung der Rollen.
In den Jahren 1793 und 1794 befand sich die österreichische Hauptmacht in den Niederlanden, die preußische am Oberrhein. Die österreichischen Truppen wurden von Wien nach Condé und Valenciennes gefahren und durchkreuzten sich mit den preußischen, die von Berlin nach Landau mußten. Die Österreicher hatten zwar dort ihre belgischen Provinzen zu verteidigen, und wenn sie Eroberungen im französischen Flandern machten, so waren sie ihnen sehr gelegen, allein dies Interesse war nicht stark genug. Nach dem Tode des Fürsten Kaunitz setzte der österreichische Minister Thugut die Maßregel durch, die Niederlande ganz aufzugeben, um seine Kräfte mehr zu konzentrieren. In der Tat haben die Österreicher nach Flandern fast noch einmal so weit als nach dem Elsaß, und in einer Zeit, wo die Streitkräfte sich in sehr gemessenen Grenzen befanden und alles mit barem Gelde unterhalten werden mußte, war das keine Kleinigkeit. Doch war die Absicht des Ministers Thugut offenbar noch eine andere: er wollte die Mächte, welche bei der Verteidigung der Niederlande und des Niederrheins interessiert waren, Holland, England und Preußen, durch die Dringlichkeit der Gefahr in den Fall setzen, stärkere Anstrengungen zu machen. Er hat sich in seinem Kalkül betrogen, weil dem preußischen Kabinett damals auf keine Weise beizukommen war. Aber immer zeigt dieser Hergang den Einfluß des politischen Interesses auf den Gang des Krieges.
Preußen hatte im Elsaß weder etwas zu verteidigen noch zu erobern. Es hatte im Jahr 1792 den Marsch durch Lothringen nach der Champagne in einem ritterlichen Sinne unternommen. Als dieser gegen den Drang der Umstände nicht mehr vorhielt, führte es den Krieg nur noch mit halbem Interesse fort. Hätten sich die preußischen Truppen in den Niederlanden befunden, so waren sie mit Holland in unmittelbarer Verbindung, welches sie halb und halb als ihr eigenes Land ansehen konnten, da sie es im Jahr 1787 unterworfen hatten, sie deckten den Niederrhein und folglich denjenigen Teil der preußischen Monarchie, der dem Kriegstheater am nächsten lag. Auch mit England befand sich Preußen wegen der Subsidien in einem stärkeren Bundesverhältnisse, welches unter diesen Umständen nicht so leicht in die Hinterlist ausarten konnte, welcher sich das preußische Kabinett damals schuldig gemacht hat.
Es wäre also eine viel bessere Wirkung zu erwarten gewesen, wenn die Österreicher mit ihrer Hauptmacht am Oberrhein, die Preußen mit ihrer ganzen Macht in den Niederlanden aufgetreten wären, und die Österreicher dort nur ein verhältnismäßiges Korps gelassen hätten.
Wenn man im Jahr 1814 statt des unternehmenden Blüchers den General Barclay an die Spitze der Schlesischen Armee gestellt und Blücher unter Schwarzenberg bei der Hauptarmee behalten hätte, so wäre der Feldzug vielleicht ganz verunglückt.
Wenn der unternehmende Laudon, statt sein Kriegstheater auf dem stärksten Punkt der preußischen Monarchie, nämlich in Schlesien zu haben, sich an der Stelle der Reichsarmee befunden hätte, so würde vielleicht der ganze Siebenjährige Krieg eine andere Wendung genommen haben. Um diesem Gegenstande näher zu treten, müssen wir die Fälle nach ihren Hauptverschiedenheiten betrachten.
Der erste ist: wenn wir den Krieg mit anderen Mächten gemeinschaftlich führen, die nicht bloß als unsere Bundesgenossen auftreten, sondern ein selbständiges Interesse haben.
Der zweite: wenn ein Bundesheer zu unserem Beistande herbeigekommen ist.
Der Dritte: wenn nur von der persönlichen Eigentümlichkeit der Generale die Rede ist.
Für die beiden ersten Fälle kann man die Frage aufwerfen, ob es besser sei, die Truppen der verschiedenen Mächte vollkommen zu vermischen, so daß die einzelnen Heere aus Korps verschiedener Mächte zusammengesetzt sind, wie das in den Jahren 1813 und 1814 stattgefunden hat, oder ob man sie soviel als möglich trennen soll, damit jede selbständiger handle.
Offenbar ist das erste das Heilsamste, aber es setzt einen Grad von Befreundung und gemeinschaftlichem Interesse voraus, der selten stattfinden wird. Bei dieser engen Verbindung der Streitkräfte wird den Kabinetten die Absonderung ihrer Interessen weit schwerer, und was den schädlichen Einfluß egoistischer Ansichten bei den Heerführern betrifft, so kann er sich unter diesen Umständen nur bei den Unterfeldherren, also nur im Gebiet der Taktik, und auch hier nicht so ungestraft und frei zeigen wie bei einer vollkommenen Trennung. Bei dieser geht er in die Strategie über und wirkt also in entscheidenden Zügen. Aber, wie gesagt, es gehört eine seltene Hingebung von seiten der Regierung dazu. Im Jahr 1813 drängte die Not alle in diese Richtung, und doch ist es nicht genug zu preisen, daß der Kaiser von Rußland, der mit der stärksten Streitkraft auftrat und das größte Verdienst um den Umschwung des Glückes hatte, seine Truppen den preußischen und österreichischen Befehlshabern unterordnete, ohne den Ehrgeiz zu haben, mit einer selbständigen russischen Armee aufzutreten.
Ist nun eine solche Vereinigung der Streitkräfte nicht zu erhalten, so ist eine vollkommene Trennung derselben allerdings besser als eine halbe, und das Schlimmste ist immer, wenn zwei unabhängige Feldherren verschiedener Mächte sich auf ein und demselben Kriegstheater befinden, wie das im Siebenjährigen Kriege mit den Russen, Österreichern und der Reichsarmee häufig der Fall war. Bei einer vollkommenen Trennung der Kräfte sind auch die Lasten, welche überwunden werden sollen, mehr getrennt, und es wird dann jeder von der seinigen gedrückt, also durch die Gewalt der Umstände mehr zur Tätigkeit gedrängt; befinden sie sich aber in naher Verbindung oder gar auf einem Kriegstheater, so ist dies nicht der Fall, und außerdem lähmt der üble Wille des einen die Kräfte des anderen mit.
Im ersten der drei angegebenen Fälle wird die völlige Trennung keine Schwierigkeiten haben, weil das natürliche Interesse jeder Macht ihr gewöhnlich schon eine andere Richtung ihrer Kräfte zuweist; im zweiten Fall kann es daran fehlen, und dann bleibt in der Regel nichts übrig, als sich der Hilfsarmee, wenn ihre Stärke einigermaßen dazu geeignet ist, ganz unterzuordnen, wie die Österreicher am Ende des Feldzuges von 1815 und die Preußen im Feldzug von 1807 getan haben.
Was die persönliche Eigentümlichkeit der Generale betrifft, so geht hier alles in das Individuelle über, aber die eine allgemeine Bemerkung dürfen wir nicht übergehen, daß man nicht, wie wohl zu geschehen pflegt, die vorsichtigsten und behutsamsten an die Spitze der untergeordneten Armeen stellen soll, sondern die unternehmendsten, denn wir kommen darauf zurück: es ist bei der getrennten strategischen Wirksamkeit nichts so wichtig, als daß jeder Teil tüchtig arbeite, die volle Wirksamkeit seiner Kräfte äußere, wobei denn die Fehler, welche auf einem Punkte begangen sein können, durch die Geschicklichkeit auf anderen ausgeglichen werden. Nun ist man aber dieser vollen Tätigkeit aller Teile nur gewiß, wenn die Führer rasche, unternehmende Leute sind, die der innere Trieb, das eigene Herz vorwärtstreibt, weil eine bloße objektive, kalte Überlegung von der Notwendigkeit des Handelns selten ausreicht.
Endlich bleibt noch die Bemerkung übrig, daß, wenn es sonst die Umstände gestatten, die Truppen und Feldherren in Beziehung auf ihre Bestimmung und auf die Natur der Gegend nach ihren Eigentümlichkeiten gebraucht werden sollen.
Stehende Heere, gute Truppen, zahlreiche Reiterei, alte, vorsichtige, verständige Feldherren in offenen Gegenden; Landmilizen, Volksbewaffnung, zusammengerafftes Gesindel, junge, unternehmende Führer in Wäldern, Bergen und Pässen, Hilfsheere in reichen Provinzen, wo sie sich gefallen.
Was wir bisher über den Kriegsplan im allgemeinen und in diesem Kapitel über denjenigen insbesondere gesagt haben, welcher auf die Niederwerfung des Gegners gerichtet ist, hatte die Absicht, das Ziel desselben über alles hervorzuheben und demnächst Grundsätze anzugeben, welche bei der Einrichtung der Mittel und Wege leiten sollen. Wir wollten dadurch ein klares Bewußtsein von dem, was man in einem solchen Kriege will und soll, bewirken. Das Notwendige und Allgemeine wollten wir herausheben, dem Individuellen und Zufälligen seinen Spielraum lassen, aber das Willkürliche, Unbegründete, das Spielende oder Phantastische oder Sophistische wollten wir entfernen. Haben wir diesen Zweck erreicht, so sehen wir unsere Aufgabe als gelöst an.
Wer nun sehr betreten ist, hier nichts von Umgehung der Flüsse, von Bemeisterung der Gebirge durch ihre beherrschenden Punkte, von Vermeidung der festen Stellungen und Schlüssel des Landes zu finden, der hat uns nicht verstanden, und wir gestehen, daß wir glauben, ein solcher hat auch den Krieg in seinen großen Beziehungen noch nicht verstanden.
Wir haben in den früheren Büchern diese Gegenstände im allgemeinen charakterisiert und dabei gefunden, daß sie meistens von einer viel schwächeren Natur sind, als man nach ihrem Ruf glauben sollte. Um so weniger können und sollen sie in einem Kriege, dessen Ziel die Niederwerfung des Feindes ist, eine große Rolle spielen, nämlich eine solche, die auf den ganzen Kriegsentwurf Einfluß hätte.
Der Einrichtung des Oberbefehls werden wir am Schlusse dieses Buches ein eigenes Kapitel widmen. -
Wir wollen dies Kapitel mit einem Beispiel beschließen.
Wenn Österreich, Preußen, der Deutsche Bund, die Niederlande und England einen Krieg gegen Frankreich beschließen, Rußland aber neutral bleibt, ein Fall, der sich seit hundertundfünfzig Jahren schon so oft erneuert hat, so sind sie imstande, einen Angriffskrieg zu führen, der auf die Niederwerfung des Gegners gerichtet ist. Denn so groß und mächtig Frankreich ist, so kann es doch in den Fall kommen, die größere Hälfte seines Reiches von feindlichen Armeen überschwemmt, die Hauptstadt in ihrem Besitz und sich auf unzureichende Hilfsquellen zurückgeführt zu sehen, ohne daß es außer Rußland eine Macht gäbe, die es mit großer Wirksamkeit unterstützen könnte. Spanien ist zu weit entfernt und zu unvorteilhaft gelegen; die italienischen Staaten sind vorderhand zu morsch und ohnmächtig.
Die genannten Länder haben ohne ihre außereuropäischen Besitzungen über 75000000 Einwohner zu gebieten, während Frankreich nur 30000000 hat, und das Heer, welches sie zu einem ernstlich gemeinten Kriege gegen Frankreich aufzubieten haben, würde ohne Übertreibung folgendes sein können:
Österreich 250000 Mann
Preußen 200000 Mann
Das übrige Deutschland 150000 Mann
Die Niederlande 75000 Mann
England 50000 Mann
Summa 725000 Mann.
Treten diese effektiv auf, so sind sie der Macht, welche Frankreich entgegenstellen kann, höchstwahrscheinlich weit überlegen, denn dieses Land hat unter Bonaparte zu keiner Zeit eine Streitmasse von ähnlicher Stärke gehabt. Bedenkt man nun, was an Festungsbesatzungen und Depots zur Bewachung der Küste usw. abgeht, so wird man die Wahrscheinlichkeit einer bedeutenden Überlegenheit auf dem Hauptkriegstheater nicht bezweifeln, und auf diese ist der Zweck, den Feind niederzuwerfen, hauptsächlich gegründet.
Der Schwerpunkt des französischen Reiches liegt in seiner Kriegsmacht und in Paris. Jene in einer oder mehreren Hauptschlachten besiegen, Paris erobern, die Überreste des feindlichen Heeres über die Loire zurückwerfen, muß das Ziel der Verbündeten sein. Die Herzgrube der französischen Monarchie liegt zwischen Paris und Brüssel, dort ist die Grenze von der Hauptstadt nur 30 Meilen entfernt. Der eine Teil der Verbündeten, die Engländer, Niederländer, Preußen und die norddeutschen Staaten, haben dort ihren natürlichen Aufstellungspunkt, ihre Länder liegen zum Teil in der Nähe, zum Teil gerade dahinter. Österreich und Süddeutschland kann seinen Krieg mit Bequemlichkeit nur vom Oberrhein her führen. Die natürlichste Richtung geht auf Troyes und Paris oder auch auf Orléans. Beide Stöße, der von den Niederlanden wie der vom Oberrhein her, sind also ganz direkt und ohne Zwang, kurz und kräftig, und beide führen zum Schwerpunkt der feindlichen Macht. Auf diese beiden Punkte sollte also die ganze feindliche Macht verteilt werden.
Nur zwei Rücksichten entfernen von dieser Einfachheit des Planes.
Die Österreicher werden Italien nicht entblößen, sie werden dort in jedem Fall Meister der Begebenheiten bleiben wollen. Sie werden es also nicht darauf ankommen lassen, Italien durch einen Angriff auf das Herz von Frankreich mittelbar zu decken. Bei dem politischen Zustande des Landes ist diese Nebenabsicht nicht zu verwerfen; aber es würde ein ganz entschiedener Fehler sein, wenn die alte, schon so oft versuchte Idee eines Angriffs des südlichen Frankreichs von Italien her damit verbunden und aus diesem Grunde der italienischen Macht eine Größe gegeben würde, die sie zur bloßen Sicherung gegen die äußersten Unglücksfälle im ersten Feldzuge nicht brauchte. Nur soviel soll in Italien bleiben, nur soviel darf der Hauptunternehmung entzogen werden, wenn man dem Hauptgedanken, Einheit des Planes, Vereinigung der Macht, nicht untreu werden will. Wenn man Frankreich an der Rhône erobern will, so ist das, als wenn man eine Muskete an der Spitze ihres Bajonetts aufheben will; aber auch als Nebenunternehmung ist ein Angriff auf das südliche Frankreich verwerflich, denn er weckt nur neue Kräfte gegen uns. Jedesmal, wo man eine entfernte Provinz angreift, rührt man Interessen und Tätigkeiten auf, die sonst geschlummert hätten. Nur wenn sich zeigt, daß die in Italien gelassenen Kräfte für die bloße Sicherung des Landes zu groß wären und also müßig bleiben müßten, ist ein Angriff auf das südliche Frankreich von da aus gerechtfertigt.
Wir wiederholen es daher: die italienische Macht muß so schwach gehalten werden, als es die Umstände nur irgend zulassen, und sie ist hinreichend, wenn die Österreicher nicht in einem Feldzuge das ganze Land verlieren können. Nehmen wir diese Macht in unserem Beispiele mit 50000 Mann an.
Die andere Rücksicht ist das Verhältnis Frankreichs als Küstenland, Da England zur See die Oberhand hat, so folgt daraus eine große Reizbarkeit Frankreichs längs seiner ganzen atlantischen Küste und folglich eine mehr oder weniger starke Besetzung derselben. Wie schwach diese nun auch eingerichtet sei, so wird doch die französische Grenze damit verdreifacht, und es kann nicht fehlen, daß dadurch den französischen Armeen auf den Kriegstheatern eine Menge von Kräften entzogen werden. 20 oder 30 000 Mann disponibler Landungstruppen, womit die Engländer Frankreich bedrohen, würden vielleicht das Doppelte oder Dreifache von französischen Kräften absorbieren, wobei man nicht bloß an Truppen, sondern auch an Geld, Kanonen usw. denken muß, welche Flotte und Strandbatterien erfordern. Nehmen wir an, daß die Engländer dazu 25000 Mann verwenden.
Unser Kriegsplan würde also ganz einfacherweise darin bestehen:
Erstens: Daß sich in den Niederlanden
200000 Mann Preußen,
75000 Mann Niederländer,
25000 Mann Engländer,
50000 Mann norddeutscher Bundestruppen,
Summa 350000 Mann versammelten, wovon etwa 50000 zur Besetzung der Grenzfestungen verwendet werden und 300000 übrigbleiben, um gegen Paris vorzudringen und den französischen Armeen eine Hauptschlacht zu liefern.
Zweitens: Daß sich 200000 Österreicher und 100000 Mann süddeutscher Truppen am Oberrhein versammelten, und gleichzeitig mit der niederländischen Armee vorzudringen, und zwar gegen die obere Seine und von da gegen die Loire, um der feindlichen Armee gleichfalls eine Hauptschlacht zu liefern. An der Loire würden sich vielleicht diese beiden Stöße zu einem verbinden.
Hiermit ist die Hauptsache bestimmt; was wir weiter zu sagen haben, betrifft hauptsächlich die Entfernung falscher Ideen und besteht in folgendem:
Erstens: Die vorgeschriebene Hauptschlacht zu suchen und sie mit einem Machtverhältnis und unter Umständen zu liefern, die einen entscheidenden Sieg versprechen, muß die Tendenz der Feldherren sein; diesem Zweck müssen sie alles aufopfern und sich übrigens in Belagerungen, Einschließungen, Besatzungen usw. mit so wenigem als möglich behelfen. Wenn sie, wie Schwarzenberg im Jahre 1814 tat, sobald sie das feindliche Gebiet betreten, in exzentrischen Radien auseinandergehen, so ist alles verloren, und die Verbündeten verdankten im Jahre 1814 es nur der Ohnmacht Frankreichs, daß nicht in den ersten vierzehn Tagen wirklich alles verlorenging. Der Angriff soll einem kräftig getriebenen Pfeil und nicht einer Seifenblase gleichen, die sich bis zum Zerplatzen ausdehnt.
Zweitens: Die Schweiz muß man ihren eigenen Kräften überlassen. Bleibt sie neutral, so hat man am Oberrhein einen guten Anlehnungspunkt; wird sie von Frankreich angegriffen, so mag sie sich ihrer Haut wehren, wozu sie in mehr als einer Hinsicht sehr geeignet ist. Nichts wäre törichter, als der Schweiz, weil sie das höchste Land Europas ist, einen geographisch herrschenden Einfluß auf die Kriegsbegebenheiten einräumen zu wollen. Ein solcher Einfluß besteht nur unter gewissen, sehr beschränkten Bedingungen, die hier gar nicht vorhanden sind. Während die Franzosen im Herzen ihres Landes angegriffen sind, können sie keine kräftige Offensive von der Schweiz aus weder nach Italien noch nach Schwaben hinein unternehmen, und am wenigsten kann dabei die hohe Lage dieses Landes als ein entscheidender Umstand in Betrachtung kommen. Der Vorteil des strategischen Dominierens ist zuerst hauptsächlich bei der Verteidigung wichtig, und was für den Angriff von dieser Wichtigkeit übrigbleibt, kann sich in einem einzelnen Stoß zeigen. Wer dies nicht weiß, hat die Sache nicht bis zur Klarheit durchdacht, und wenn im künftigen Rat des Machthabers und Feldherrn sich ein gelehrter Generalstabsoffizier finden sollte, der mit sorgenvoller Stirn solche Weisheit auskramt, so erklären wir es im voraus für eitle Torheit und wünschen, daß sich in eben diesem Rat irgendein tüchtiger Haudegen, ein Kind des gesunden Menschenverstandes finden möge, der ihm das Wort beim Munde abschneidet.
Drittens: Den Raum zwischen beiden Angriffen lassen wir so gut wie unbeachtet. Muß man, während sich 600000 Mann 30 und 40 Meilen von Paris versammeln, um gegen das Herz des französischen Staates vorzudringen, noch darauf denken, den Mittelrhein, also Berlin, Dresden, Wien und München zu decken? Darin wäre kein Menschenverstand. Soll man die Verbindung decken? Das wäre nicht unwichtig; aber dann kann man logisch bald dahin geführt werden, dieser Deckung die Stärke und Wichtigkeit eines Angriffs geben zu müssen und also, anstatt auf zwei Linien vorzugehen, wozu die Lage der Staaten unbedingt nötigt, auf dreien vorzugehen, wozu sie nicht nötigt, und diese drei würden dann vielleicht zu fünf oder gar zu sieben werden und so die ganze alte Litanei wieder an die Tagesordnung kommen.
Unsere beiden Angriffe haben jeder ihr Ziel; die darauf verwendeten Kräfte sind höchstwahrscheinlich den feindlichen merklich überlegen; geht jeder seinen kräftigen Gang vorwärts, so kann es nicht anders sein, als daß sie gegenseitig vorteilhaft aufeinander wirken. Wäre einer der beiden Angriffe unglücklich, weil der Feind seine Macht zu ungleich verteilt hat, so ist mit Recht zu erwarten, daß der Erfolg des anderen dieses Unglück von selbst gutmachen werde, und dies ist der wahre Zusammenhang beider. Einen Zusammenhang, welcher sich auf die Begebenheiten der einzelnen Tage erstreckte, können sie bei der Entfernung nicht haben; sie brauchen ihn nicht, und darum ist die unmittelbare oder vielmehr die gerade Verbindung von keinem so großen Werte.
Der Feind, welcher in seinem Innersten angegriffen ist, wird ohnehin keine namhaften Streitkräfte zur Unterbrechung dieser Verbindung verwenden können; alles, was zu befürchten ist, besteht vielmehr darin, daß diese Unterbrechung durch die Mitwirkung der von Streifparteien unterstützten Einwohner allein bewirkt werde, so daß dieser Zweck dem Feinde an eigentlicher Streitkraft nichts kostet. Um dem zu begegnen, ist es hinreichend, wenn von Trier aus ein 10 bis 15000 Mann, an Kavallerie vorzüglich starkes Korps die Richtung auf Reims hält; es wird hinreichend sein, jedem Parteigänger über den Leib zu marschieren und die Höhe der großen Armee zu halten. Es soll weder Festungen einschließen noch beobachten, sondern zwischen ihnen durchmarschieren, sich keine feste Basis halten und einer Übermacht nach jeder beliebigen Richtung ausweichen. Ein großes Unglück wird ihm da nicht begegnen können, und wenn dies geschähe, so wäre es wieder kein großes Unglück für das Ganze. Unter diesen Umständen wird ein solches Korps wahrscheinlich hinreichen, einen Zwischenpunkt für die beiden Angriffe zu bilden.
Viertens: Die beiden Nebenunternehmungen, nämlich die österreichische Armee in Italien und die englische Landungsarmee, mögen ihrem Zweck nach bester Weise nachgeben. Wenn sie nicht müßig bleiben, so ist er der Hauptsache nach schon erfüllt, und auf keinen Fall soll einer der beiden großen Angriffe in irgendeiner Art davon abhängig gemacht werden.
Wir halten uns fest überzeugt, daß auf diese Weise Frankreich jedesmal niedergeworfen und gezüchtigt werden kann, wenn es sich einfallen läßt, den Übermut, womit es Europa 150 Jahre lang gedrückt hat, wieder anzunehmen. Nur jenseits Paris an der Loire kann man von ihm die Bedingungen erhalten, die zu Europas Ruhe nötig sind. Nur so wird sich schnell das natürliche Verhältnis von 30000000 zu 75000000 kundtun, nicht aber wenn jenes Land, wie 150 Jahre lang geschehen ist, von Dünkirchen bis Genua mit einem Gürtel von Armeen umschnallt werden soll, indem man fünfzigerlei verschiedene kleine Zwecke sich vorsetzt, wovon keiner stark genug ist, die Inertie, die Friktion, die fremdartigen Einflüsse zu überwältigen, die sich überall, besonders aber bei verbündeten Heeren, erzeugen und ewig regenerieren.
Wie wenig einer solchen Anordnung die vorläufigen Anordnungen des deutschen Bundesheeres entsprechen, wird dem Leser von selbst einfallen. In diesen Einrichtungen bildet der föderative Teil Deutschlands den Kern der deutschen Macht, und Preußen und Österreich, durch ihn geschwächt, verlieren ihr natürliches Gewicht. Ein föderativer Staat ist aber im Kriege ein sehr morscher Kern; da ist keine Einheit, keine Energie, keine vernünftige Wahl des Feldherrn, keine Autorität, keine Verantwortlichkeit denkbar.
Österreich und Preußen sind die beiden natürlichen Mittelpunkte des Stoßes für das Deutsche Reich, sie bilden den Schwingungspunkt, die Stärke der Klinge, sie sind monarchische Staaten, des Krieges gewohnt, haben ihre bestimmten Interessen, Selbständigkeit der Macht, sind vorherrschend vor den anderen. Diesen natürlichen Lineamenten muß die Einrichtung folgen und nicht einer falschen Idee von Einheit; diese ist hier ganz unmöglich, und wer über dem Unmöglichen das Mögliche versäumt, der ist ein Tor.
DAS ENDE
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